Werbung

Werbung

Werbung

Ein beeindruckendes Debüt

Stefan Mosters Roman zeigt, dass Nähe erst in der Distanz zu spüren ist

© Die Berliner Literaturkritik, 05.11.09

Von Gianna Maria Behrendt

Getrennt und doch gemeinsam gehen Mutter und Sohn auf Reise. Ohne es zu wissen, haben sie auf demselben Kreuzfahrtschiff angeheuert: sie als Bordpsychologin, er als Barpianist. Vor Monaten sind sie im Streit auseinander gegangen, nun schippern Almut und Sebastian 157 Tage lang von Europa nach Südamerika. Werden sich die beiden in die Arme oder gar ins Messer laufen? Stefan Moster spannt die Leser seines Romans „Die Unmöglichkeit des vierhändigen Spiels“ gehörig auf die Folter. Und zeigt, dass Nähe oft erst in der Distanz zu spüren ist.

„Die Unmöglichkeit des vierhändigen Spiels“ ist Mosters erster Roman. Der 1964 in Mainz geborene Autor unterrichtete an den Universitäten München und Helsinki und lebt heute mit seiner Familie in Espoo, Finnland. Dort arbeitet er als freier Übersetzer, Lektor, Kritiker und Herausgeber. Stefan Moster erhielt 1997 das Münchner Literaturstipendium für Übersetzung und 2001 den finnischen Übersetzerpreis. In seinem Roman wechselt die Erzählperspektive kapitelweise zwischen dem einundzwanzigjährigen Sebastian und seiner Mutter Almut. Ihre Geschichte handelt von Vertrauen und Verrat, vor allem aber vom Loslassen. Dabei knüpft die Liebe zur Musik ein starkes Band zwischen den Figuren. Moster scheut keine erzählerische Herausforderung: Der Roman behandelt eine Vielzahl gegenwärtiger Themen, ohne die Handlung zu überlasten.

Lange Jahre der Zweisamkeit von Mutter und Sohn finden ein jähes Ende, als Almut ihren Sohn bittet, mit ihr vierhändig Klavier zu spielen: Schubert, Deutschverzeichnis 940. „Das war ein Stück für Mann und Frau, nicht für Mutter und Sohn. Ich kam mir pervers vor, so etwas mit meiner Mutter zu spielen“, entlarvt Sebastian den Klammergriff der Mutter. Nun bricht er aus, befreit sich, um endlich erwachsen zu werden – und selbstständig. Weniger selbstständig und eher zufällig verschlägt es ihn als Pianist auf das Kreuzfahrtschiff.

Klavierspielend beobachtet Sebastian Szenen dekadenter Geselligkeit. Hinter den Kulissen blickt er weit tiefer in den Mikrokosmos Kreuzfahrtschiff: Nach Herkunft und Prestige verläuft eine Hierarchie, die sich an den Unterbringungen im Schiff buchstäblich von oben nach unten abzeichnet. Während sich auf dem oberen Deck die feine Gesellschaft aus Deutschland amüsiert, schuften auf den unteren Etagen osteuropäische Zimmermädchen, thailändische Putzfrauen, ganz unten im Bauch afrikanische Maschinenarbeiter. Als Sebastian ungewollt in das Schicksal vier blinder Passagiere verwickelt wird, bekommt er plötzlich zu spüren, was es heißt, erwachsen zu sein: Er muss Verantwortung übernehmen. Zwischen jugendlicher Unsicherheit und reifem Mut stolpert Sebastian in ein Liebesabenteuer und kommt bei der Frage nach dem richtigen, verantwortungsvollen Leben an.

Der Eklat mit ihrem Sohn zieht auch durch Almuts Leben einen Riss. Sie gibt ihre Arbeit bei einer psychologischen Beratungsstelle auf, um sich „für eine Weile nur noch Luxusproblemen zuzuwenden“. Statt die Opfer prügelnder Ehemänner aufzufangen, behandelt die Psychologin nun hier und da ein rostendes Liebesleben. Verbittert stellt sie fest, dass die Leidenschaft einer alternden Ehe unabdingbar abhanden kommt. Doch „aus dem intimen Kern keimt das Leben“, behauptet die Psychologin. Dementsprechend geben die Geschichten der Ratsuchenden Aufschluss über die Unsicherheiten unserer Zeit.

Auch Gaus, dem Personalchef des Schiffs, steht Almuts Beratungszimmer offen. Täglich besucht er Almut, um auf dem Blüthner-Flügel zu musizieren. Sie lauscht derweil nicht nur seinem seelenlosen Klavierspiel, sondern auch ausschweifenden Vorträgen. Gaus entpuppt sich im Verlauf des Romans als Schlüsselfigur und Drahtzieher, dem dennoch eine gewisse Tragik anhaftet. Er ist ehemaliger Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, Almut ist in Warnemünde aufgewachsen. Unverhofft tauchen verdrängte Erinnerungen auf: an ihre Kindheit in der DDR, ihren geliebten Onkel Heinrich, der sie zur Musik brachte und nicht zuletzt an Sebastians Vater und die gescheiterte Ehe. Almut bietet nun Konflikten die Stirn, die auf der Strecke blieben, während sie sich auf ihren Sohn fixierte und stützte. Endlich beginnt sie, sich selbst zu sehen, findet Freundinnen und Verehrer. Und es ist immer wieder die Musik, die Leidenschaft für Bach, die ihr Trost spendet und sie versöhnt.

Die Auflösung ihrer Symbiose befreit Mutter und Sohn, gibt ihnen aber auch eine neue Chance. Sie spüren, was sie miteinander verbindet, indem sie ihre Unabhängigkeit entdecken und sich selbst wieder spüren. Auf dem Weg dorthin hadern sie noch mit ihrer Eigenständigkeit und den Aufgaben, die das Leben ihnen stellt. Kaum merklich spitzen sich die Ereignisse zu und als sie sich schließlich überschlagen, offenbart sich einmal mehr die erzählerische Brillanz Mosters. Das tosende Meer begleitet die Dynamik der Handlung und auf dem Höhepunkt des Sturmes eskalieren sämtliche Handlungsstränge. Die Seekrankheit zermürbt Almut, Sebastian spart sie aus. In seinem Übermut geht er ein folgenschweres Risiko ein. Plötzlich steht alles in Frage. Und genauso schlagartig plätschert das Schiff wieder in neuem Gewässer. Almut muss sich einer schmerzhaften Enthüllung stellen. Doch am Kap Hoorn angekommen, lässt sie alle Zwietracht tapfer ziehen.

Mosters Figuren sind authentisch und lebhaft charakterisiert. Nach dem totalen Kahlschlag erheben sie sich wie Phönix aus der Asche. Dazu versammelt der Autor in präziser Sprache und klugen Sätzen eine beträchtliche Anzahl wichtiger Themen. Moster spannt einen überdimensionalen Bogen: Er setzt bei der Mutter-Sohn-Beziehung an, lässt immer wieder die Frage nach Schuld und Vergebung auftauchen. Er entwirft über die Biographien seiner Charaktere einen Abriss der deutschen Zeitgeschichte und prangert überdies die ungleichmäßige Struktur eines globalen Gesellschaftsgefüges an. Der Autor agiert in einem zugegeben recht konstruierten Rahmen auf vielen Ebenen. Doch genau diese Kunst macht seinen Roman so besonders, denn die Erzählung kann der thematischen Fülle durchaus standhalten. Der Roman wahrt die Form eines perfekt durchkomponierten Stückes; wie bei Bach. Fugenartig fügen sich die getrennt voneinander laufenden Bewegungen zu einer Harmonie. Am Ende der Reise steht die Versöhnung.

Literaturangabe:

MOSTER, STEFAN: Die Unmöglichkeit des vierhändigen Spiels. mare Verlag, Hamburg 2009. 448 S., 22 €.

Weblink:

mare Verlag

 

 


Bookmark and Share

BLK mit Google durchsuchen: