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Zwischen Tradition und Anpassung

Der neue Erzählband „Fremde Erde“ der Pulitzerpreisträgerin Jhumpa Lahiri

© Die Berliner Literaturkritik, 10.03.10

Von Kathrin Streckenbach

Es ist dieses schleichende, zähe Gefühl der Beklemmung, das Ruma einfach nicht mehr abschütteln kann. Die junge Frau schaut aus dem Fenster und sieht ihrem Vater dabei zu, wie er die Pflanzen gießt: „Sie hörte das Wasser in kraftvollem, stetem Strom auf die Erde schlagen. Dieses Geräusch machte sie irgendwie verlegen, als habe er in ihrem Beisein uriniert.“ Scham, Hemmungen, Unsicherheit und das übermächtige Gefühl des Einander-verpflichtet- Seins - zwischen den Menschen in Jumpha Lahiris neuem Erzählband „Fremde Erde“ liegt eine nur schwer überwindbare Kluft.

Fünf Geschichten hat Lahiri in diesem Buch zusammengefasst – und auch wenn die Protagonisten und ihre Lebenssituationen allesamt verschieden sind, eint sie doch die Zerrissenheit zwischen der indischen Kultur auf der einen, und der neuen Heimat auf der anderen Seite. Und Jhumpa Lahiri weiß, wovon sie schreibt: 1967 wurde die Schriftstellerin als Tochter bengalischer Eltern in London geboren, aufgewachsen ist sie in Rhode Island. Der Spagat zwischen der bengalischen Tradition ihrer Familie und dem Versuch, sich in der neuen Heimat anzupassen und mitzuhalten ­ er muss Jhumpa Lahiri ebenso geprägt haben wie die Charaktere in ihren Geschichten.

Die Autorin, die für ihren Erstlingsband „Melancholie der Ankunft“ im Jahr 2000 den Pulitzer-Preis erhielt, erzählt ihre Geschichten mit einer auffallenden Genauigkeit und Detailverliebtheit: Die Erzählungen sind nicht viel länger als 60 Seiten und dennoch schafft sie es auf engstem Raum, ihre Figuren regelrecht zu sezieren. Schritt für Schritt, Seite für Seite, legt sie die Bande zwischen den Protagonisten gnadenlos offen.

Am Beispiel von Ruma gelingt ihr das besonders: Die junge Frau bekommt in Seattle Besuch von ihrem Vater, der nach dem plötzlichen Tod der Mutter allein im weit entfernten New York lebt. Monatelang haben die beiden sich nicht gesehen, doch anstatt die gemeinsame Zeit miteinander zu genießen, schleichen sie umeinander herum und blocken jeden hilflosen Versuch des Anderen ab, sich näher zu kommen.

Die auf den ersten Blick noch so harmonische und liebevolle Beziehung zwischen Ruma und dem Vater wird im Laufe der Geschichte immer komplizierter, immer angestrengter und auch unversöhnlicher: Zu viel kleinliches Herumgestreite ist in all den Jahren zwischen ihnen vorgefallen, zu sehr rechnen die beiden gegenseitig auf, als dass sie unbefangen miteinander umgehen könnten. Der Grund dafür liegt aber weniger in den verschiedenen Kulturen Rumas und ihres Vaters: Es ist nicht nur der Kampf zwischen Tradition und Moderne, der hier ausgetragen wird, auch wenn es auf den ersten Blick so scheinen mag.

Vielmehr geht es um den uralten und unausweichlichen Bruch zwischen den Generationen. Zwischen den Eltern, die sich betrogen und verletzt fühlen, wenn der Nachwuchs sich immer weiter von ihnen entfernt, und sie nicht mehr zu brauchen scheint. Und den Kindern, die hin- und hergerissen sind zwischen einem Gefühl des Schuldigseins und der Verpflichtung den Eltern gegenüber sowie einem immer stärker werdenden Bedürfnis, sich freizumachen von einer Art zu leben, die sie nicht mehr verstehen und nachvollziehen können. Der einzige Ausweg aus dieser Situation ist die totale Konzentration auf die nächste Generation, auf das Enkelkind, das noch unschuldig und unbelastet vom Konflikt der Familie ist.

Lahiris Geschichten sind randvoll mit unausgesprochenen Vorwürfen, hilfloser Zärtlichkeit und einer fragilen Liebe, die immer wieder am fehlenden Verständnis füreinander zu zerbrechen droht. Aber: So ganz untergehen, so ganz auseinanderbrechen lässt Lahiri ihre Figuren dann doch nicht. Am Ende, kurz bevor man schon nicht mehr damit rechnen mag, lässt sie ein kleines bisschen Hoffnung aufkommen. „Es war eine wunderbare Woche“, sagt Rumas Vater vor der Abreise zu seiner Tochter - und spricht damit zum ersten Mal offen seine Gefühle aus. „Die Zeit mit euch war für mich das größte Geschenk“, fügt er hinzu, und seine Stimme wird dabei ganz weich.

 

Literaturangabe:

LAHIRI, JHUMPA: Fremde Erde. Aus dem Englischen übersetzt von Gertraude Krueger. rororo Taschenbuch, Reinbeck 2010. 304 S., 12 €.

Weblink:

Rororo


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