Von Hubert Kahl
MADRID (BLK) - Dem Leben hatte Francisco Ayala zuletzt nur noch wenig abgewinnen können. Der Schriftsteller, einer der bedeutendsten spanischen Literaten des 20. Jahrhunderts, wollte nicht im Brennpunkt des öffentlichen Interesses stehen. Offizielle Empfänge waren ihm zuwider. Ayala führte lieber ein zurückgezogenes Leben. Am Dienstag (03.11.2009) starb er in Madrid im Alter von 103 Jahren.
Der aus Granada in Südspanien stammende Schriftsteller galt als einer der wichtigsten spanischen Denker der Gegenwart. Um Modetrends oder den Geschmack des breiten Publikums scherte er sich wenig. Dennoch erhielt er so ziemlich alle Auszeichnungen, die in der spanischsprachigen Welt vergeben werden - vom Nationalen Literaturpreis (1983) über den Cervantes-Preis (1991) bis hin zum Prinz-von-Asturien-Preis (1998).
"Ich habe nie an etwas allzu fest geglaubt, sondern alles in Zweifel gezogen. Dieser Zweifel ließ sich am besten durch das Schreiben zum Ausdruck bringen."
"Ich wurde quasi als Skeptiker geboren", sagte Ayala einmal. "Ich habe nie an etwas allzu fest geglaubt, sondern alles in Zweifel gezogen. Dieser Zweifel ließ sich am besten durch das Schreiben zum Ausdruck bringen." Bei einer Buchvorstellung überraschte der für seinen trockenen Humor bekannte Autor die Gäste mit der Begrüßung: "Ich danke Ihnen, dass Sie gekommen sind. Was soll ich sonst sagen? Ich, für meinen Teil, habe genug von Francisco Ayala."
Ayala schrieb nicht nur Romane und Erzählungen, sondern auch Literaturkritiken und soziologische Essays. Zudem übersetzte er Werke von Rainer Maria Rilke und Thomas Mann ins Spanische. Auf Deutsch erschien von ihm unter anderem eine Auswahl von Erzählungen unter dem Titel "Der Kopf des Lammes" und der Roman "Wie Hunde sterben". Der Autor verstand sich als ein Moralist und Liberaler, der den "moralischen Verfall der Gesellschaft" beklagte. In einem Land wie Spanien, in dem sich eine tiefe Kluft zwischen der Rechten und der Linken auftut und eine liberale Mitte praktisch fehlt, blieb er stets ein Einzelkämpfer. Er ließ sich politisch nie von einer Partei vereinnahmen und galt als das "lebende Gewissen Spaniens".
Als junger Mann hatte Ayala zunächst mit der Malerei begonnen, seine Werke aber vernichtet, weil sie seinen Ansprüchen nicht genügten. Mit 19 Jahren veröffentlichte er seinen ersten Roman. Als Student lernte er 1929 bis 1931 in Berlin die Weimarer Republik kennen. Vom Ausbruch des spanischen Bürgerkriegs (1936-1939) wurde er während einer Vortragsreise in Lateinamerika überrascht. Er kehrte in die von den Republikanern kontrollierte Zone zurück. Nach dem Sieg des späteren Diktators Franco ging er ins Exil - zunächst nach Argentinien und später nach Puerto Rico und in die USA. 1960 kehrte er nach Spanien zurück, lehrte aber auch weiter an Universitäten in Chicago und New York.
Ayala verzehrte größere Mengen an Honig und genehmigte sich täglich sein Gläschen Whisky. Bis kurz vor seinem Tod erfreute sich der Autor mit den funkelnden Augen und der schmächtigen Figur einer guten Gesundheit. Eine Brille trug er nur zum Lesen. Zu seinem 100. Geburtstag erinnerte er daran, dass er in seinem Alter eigentlich "keine Zukunft" mehr habe: "Ich mache keine Pläne mehr. Ich fühle mich, als wäre ich mein eigener Vorfahr."