BUKAREST / BERLIN (BLK) – Das rumänische Kulturinstitut (ICR) hat die Kritik der Schriftstellerin Herta Müller an seinem Umgang mit Geheimdienstspitzeln scharf zurückgewiesen. Das ICR könne keine „moralische Instanz“ sein, sagte der Leiter der Zentrale in Bukarest, Horia-Roman Patapievici, am Mittwoch (23. Juli 2008). In Rumänien gebe es kein Gesetz, dass ehemaligen Helfern der rumänischen Geheimpolizei Securitate öffentliche Sühne auferlege. Müller hatte kritisiert, dass das ICR zu einer Tagung vom 19. bis 25. Juli in Berlin auch den Germanisten Andrei Corbea-Hoisie und den Historiker Sorin Antohi als Referenten eingeladen hatte. Beide hatten während der kommunistischen Herrschaft mit dem Geheimdienst zusammengearbeitet.
Die in Berlin lebende deutsch-rumänische Autorin Müller hatte vergangene Woche in einem offenen Brief gedroht, nie wieder einen Fuß über die Schwelle des ICR zu setzen, weil das ICR Spitzel als Vortragende in die deutsche Hauptstadt geschickt und damit die „moralische Integrität der Wissenschaft“ verletzt habe. Antohi hatte seine Spitzeltätigkeit 2006 eingeräumt und beteuert, niemandem damit geschadet zu haben. Der Herderpreis-Träger Corbea Hoisie wurde 2007 von der rumänischen Behörde zur Aufarbeitung der Securitate-Akten enttarnt.
Patapievici schrieb in einem Brief an Müller, den die rumänische Tageszeitung „Evenimentul Zilei“ am Mittwoch (23. Juli 2008) veröffentlichte: „Dank Deines Talents als ewig waches Gewissen sind Dir zwei Dinge gelungen, von denen ich sicher bin, dass Du sie nicht gewollt hast: ein wertvolles Kulturprogramm bedeutungslos zu machen und eine Debatte zu schließen, die durch die Effizienz Deiner Empörung unnötig erscheint.“
Gleichwohl sei es eine offene Frage, wie mit Securitate-Spitzeln umzugehen sei, deren Informantentätigkeit strafrechtlich nicht zu fassen sei. „Wie lange dauert die Schuld eines Informanten?“, fragte Patatapievici in dem Schreiben rhetorisch. „Sollen wir ihre Rechte einschränken? Sie zu ‚niedrigen Diensten’ verurteilen? Sie isolieren? (…) Was sollen wir, die Tugendhaften, mit ihnen, den Sündern, machen?“ Eine Diskriminierung der ehemaligen Spitzel käme nicht infrage und werde auch von der EU abgelehnt. Zudem hätten die deutschen und israelischen Referenten der Veranstaltung keine Einwände gegen Antohi und Corbea-Hoisie gehabt.
Müller wurde 1953 im deutschsprachigen rumänischen Banat geboren. Für ihre Werke erhielt sie unter anderem den Joseph-Breitbach-Preis. Weil sie sich geweigert hatte mit der Securitate zusammenzuarbeiten, verlor Müller 1979 ihre Arbeit als Übersetzerin in einer Fabrik. Ihr erstes Buch „Niederungen“ konnte in Rumänien nur in zensierter Form erscheinen. 1987 reiste sie mit ihrem damaligen Mann, dem Schriftsteller Richard Wagner, in die Bundesrepublik aus. (dpa/wip)