Von Susanna Gilbert-Sättele
Marc Lukas, Einserjurist und Streetworker, ist am Ende: Er fühlt sich schuldig am Unfalltod seiner Frau Sandra und ihres gemeinsamen ungeborenen Kindes. An das Geschehen rund um den Unfall kann er sich nur bruchstückhaft erinnern. In seiner Verzweiflung wendet er sich an Professor Bleibtreu, der in seiner psychiatrischen Klinik damit experimentiert, bei traumatisierten Menschen eine totale Amnesie zu erreichen und danach ihr Gedächtnis mit angenehmen Erinnerungen aufzufüllen. Lukas ist unsicher, ob er teilnehmen soll—zu spät allerdings. Ohne zu ahnen, was mit ihm geschieht, spinnt sich ein undurchschaubares Netz der Verschwörung um ihn, das ihn langsam in den Wahnsinn treibt.
In seinem erfolgreichen Thriller „Splitter“ versteht es Sebastian Fitzek meisterhaft, Spannung aufzubauen: Mit jedem Kapitel, das—eines wie das nächste—mit einem Paukenschlag endet, treibt er nicht nur den Protagonisten, sondern auch den Leser atemlos von Abschnitt zu Abschnitt des Buches. „Splitter“ steht nicht nur für Lukas vermeintliche Verletzung am Hals und für die Erinnerungssplitter, sondern bedeutet im Englischen auch „aufspalten, zerreißen“: Und so spaltet der Autor in immer neuen Volten und mit der Einführung neuer Personen die Geschichte auf, bis sie für den Helden wie den Leser so mysteriös und undurchschaubar wird, dass sich beide im Dickicht einer Verschwörung zu verlieren scheinen.
Lukas tappt hilflos im Niemandsland zwischen Wirklichkeit und Wahn umher. Sein Handy funktioniert nicht mehr, seine Kreditkarten sind gelöscht, in seiner Wohnung lebt ein anderer, scheint sein Leben zu leben. Er meint, seine tot geglaubte Frau zu sehen, wird durch eine mysteriöse Nachricht in ihr ehemals gemeinsames Haus gelockt und findet dort ein von Sandra geschriebenes Drehbuch vor, das exakt jene Vorgänge beschreibt, die ihm widerfahren sind. Er weiß nicht, ob er seinem Bruder Benny oder seinem Schwiegervater Constantin noch trauen kann, der ihm nach dem Unfall treu zur Seite stand und nun immer undurchschaubarer wird. Kurzum: Er zweifelt an seinem Verstand. Doch je mehr Menschen ihn verfolgen und je größer die Bedrohungen für sein Leben werden, desto mehr stellt sich ihm die Frage, ob es wirklich darum geht, seine furchtbaren Erinnerungen auszulöschen, oder nicht vielmehr darum, ihn am Erinnern zu hindern. Als er erfährt, dass der Splitter in seinem Nacken, der ihn stets an den furchtbaren Unfall gemahnt hat, gar nicht existiert, löst sich Stück für Stück das Rätsel für ihn auf.
Besonders gut ist Fitzek in seinen ruhigen Sequenzen: Der Dialog zwischen Lukas und einer potenziellen Selbstmörderin, die er zu retten versucht, ist stimmig, zeugt von großem Einfühlungsvermögen des Autors in die Befindlichkeit dieser jungen Frau. Atmosphärisch dicht sind auch die Eingangsszenen des Buches, in denen sich Marc vergeblich Hilfe von einem alten Psychiater erhofft. Hier gelingt es dem Autor besonders, mit der genauen Beschreibung der Szenerie und der Personen, eine subtile Spannung aufzubauen, die ohne jede Action auskommt. Nach dem Parforceritt des Helden und des mit ihm auf die Lösung des Rätsels gierenden Lesers mutet die Auflösung und die Erklärung für das Geschehen etwas zu konstruiert an: Hier scheint es, als habe der Autor sich selbst im Dickicht der Handlungsstränge verloren.
Literaturangabe:
FITZEK, SEBASTIAN: Splitter. Droemer Verlag, München 2009. 364 S., 16,95 €.
Weblink:
Droemer Verlag