Von Irma Weinreich
Eine Frau zwischen zwei Männern. Wird ihr Mann wegen Landesverrats verurteilt, bleibt sie bei ihm. Kommt er frei, entscheidet sie sich für den Geliebten. Der tschechische Schriftsteller Pavel Kohout (81) erzählt in seinem neuesten Roman „Die Schlinge“ eine herzzerreißende Liebesgeschichte. Gleichzeitig ist ihm ein nachdenkenswertes Geschichtsbuch und spannender Polit- Thriller gelungen.
Im Frühjahr 1948 halten die tschechischen Kommunisten in Prag ihre „große Stunde“ für gekommen. Unter Führung der aus Moskau heimgekehrten Stalinisten forcieren sie die Vereinigung der beiden Arbeiterparteien. Nur die Sozialdemokraten, zu deren führenden Köpfen der bürgerliche Philosophieprofessor und charismatische Parlamentsabgeordnete Felix Fischer gehört, können ihnen einen Strich durch die Rechnung machen. Sie fordern die Festschreibung demokratischer Regeln beim Aufbau des Sozialismus.
Während Fischer auf ehrliche Gespräche setzt, planen die Kommunisten die Ausschaltung des „Klassenfeinds“. Im perfiden Machtspiel von Lüge und Gewalt werden Menschen zu Schachfiguren, gedemütigt, verhöhnt und geängstigt. Der naheliegenden Vermutung, bei dem Buch handele es sich in Teilen um eine Autobiografie, hat Kohout bei Lesungen widersprochen. Allerdings lässt sich kaum ein besserer und einfühlsamerer Zeuge der beginnenden Schreckensherrschaft finden.
Als einer der Wortführer des „Prager Frühlings“ 1968 war Kohout aus der kommunistischen Partei ausgeschlossen worden. Seine Bücher und Stücke waren 20 Jahre verboten. Der Mitverfasser der „Charta 77“ wurde 1979 „ausgebürgert“. Heute lebt er in Wien und Prag.
Im Mittelpunkt der Dreiecksgeschichte um Liebe und Freundschaft, Vertrauen und Enttäuschung, Ideologie und Verrat stehen Fischer und seine um 25 Jahre jüngere Frau, die bekannte Schauspielerin Kamila Nostitzova, sowie der junge Dichter Jan Soukup, ein glühender Kommunist. Seine heimliche Liebe zu Kamila findet unerwartete Erfüllung, als sich beide kurz vor Kriegsende in einem Arbeitslager in Dresden wiedersehen. Nach Kriegsende findet Kamila zu ihrem Mann zurück, weil sie glaubt, Jan sei tot. Drei Jahre später ist es ausgerechnet Fischer, der dafür sorgt, dass die Leidenschaft der beiden entflammt.
Der inzwischen als zweiter Majakowski gepriesene Dichter gehört zum obersten Parteizirkel und scheint ihm ein glaubwürdiger Emissär in der zermürbenden Auseinandersetzung um den Parteienzusammenschluss. Der Machtapparat schlägt zu. Soukup wird eilig für den tschechischen Geheimdienst angeworben. Die unsichtbare Schlinge, die sich um seinen Hals legt, macht ihn zum Spielball der verschiedenen Machtinteressen.
Zu spät bemerkt er, dass er den Lockvogel spielt, um Fischer als Landesverräter und Saboteur zu diffamieren. Plötzlich geht es sogar um seinen eigenen Kopf, den er schließlich durch seine Falschaussage vor Gericht rettet. Kamila sieht Soukup nach der Verurteilung ihres Mannes zu „gnädigen“ neun Jahren nicht wieder. Als sie sich verzweifelt das Leben nimmt, ist der längst Chefredakteur der Parteizeitung „Rude pravo“. Ohne jeden Skrupel weist er an: Zwanzig Zeilen im Kulturteil.
Literaturangabe:
KOHOUT, PAVEL: Die Schlinge. Osburg Verlag, Berlin 2009. 303 S., 19,95 €.
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