Werbung

Werbung

Werbung

Der neue Gedichtband „Geistersehen“

Starke Bilder und Ausdrucksformen für das Flüchtige in Poschmanns Lyrik

© Die Berliner Literaturkritik, 26.05.11

POSCHMANN, MARION: Geistersehen, Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 126 S., 17.80 €.

Von Armin Steigenberger

Marion Poschmanns Gedichtband „Geistersehen“ beginnt vage, dunkel und unruhig; man hat den Eindruck, als würde die Autorin sich Gedicht für Gedicht an ihre Themen, oder etwas vorsichtiger gesagt, an Bilder herantasten. Das erste Kapitel heißt Testbilder. Und schon im allerersten Gedicht darin verrutschen die Gegenstände und die Welt scheint sich in der Auflösung zu befinden.

in der Fußgängerzone kam Wind auf

wie immer Wind aufkommt bei der Suche

nach jenem richtigen Ort der sich stets

weit entfernt zeigt, die Abfallpapiere

am Boden verrutschten, mein Mantel

flatterte, und, als wäre dies schon ein Grund

mich selbst zu den Dingen zu zählen

als wäre dies schon ein Grund

blieb ich ungefragt stehen

Marion Poschmann, 1969 in Essen geboren, studierte Germanistik, Philosophie und Slawistik in Bonn und Berlin. Sie schreibt Lyrik und Prosa. 2005 erhielt sie den Literaturpreis Ruhrgebiet für ihr Gesamtwerk. Sie lebt als freie Schriftstellerin in Berlin und ist Mitglied des P.E.N.

Poschmann findet von Anfang an starke und neue Bilder für das Flüchtige, nicht Festzuhaltende. Unbeständig ist nicht nur die Außenwelt, das Dingliche (also materiell Erfahrbare), sondern auch das lyrische Ich selbst und wird in vier anfänglichen „Testbildern“ selbst zum Test-Objekt. Dabei haben die Bilder weder den hierfür oft bemühten postexistentialistischen, noch den daseinspessimistischen Grundtenor; jegliche esoterische Mystifikation wird klar gemieden.

Was geschieht, ist lediglich ein Infragestellen des Sichtbaren. In Poschmanns Lyrik kann dem Leser bewusst werden, inwieweit alles Existierende nur ein flüchtiges, ephemeres „Spiel“ ist. Von Anfang an rutscht der Blick ab und es entsteht somit ganz von selbst eine erhebliche Skepsis an jedweder behaupteten Beständigkeit. Was ist real, was ist Vision? Ist die Wahrnehmung des Realen um uns herum nicht überhaupt nur ein Geistersehen?

Unterstützen Sie dieses Literaturmagazin: Kaufen Sie Ihre Bücher in unserem Online-Buchladen - es geht ganz einfach und ist ab 10 Euro versandkostenfrei! Vielen Dank!  

Platon hat die Welt geteilt, für ihn sind die Dinge nur Abziehbilder der eigentlichen Ideen. Was sich bei Poschmann in Schatten, Lichtreflexen, Silhouetten und „Rorschachmustern“ abbildet, ist anfangs ein Vexierspiel mit Lichtbrechung und –spiegelungen. „ein zitterndes Lagerfeuer, / das wir durch eine Glaswand beobachten“ lässt an Platons Höhlengleichnis denken. Temporäre Lichtphänomene auf Glas und Spiegel markieren die Unzuverlässigkeit des Sichtbaren: Erscheinungen, die „auf einem überbelichteten Film“ „flimmern“. Im Fokus stehen Spiegelungen, der Schein des Lichts auf transparenten Objekten, „Glaslicht“, „was über den Randstreifen flackerte“. Die Welt löst sich auf; das Materielle ist nichts anderes als Rauch und bizarres Trugbild. Und just Platon brachte in seinem Dialog Ion auch das Gespaltensein des Künstlers auf den Punkt: im Widerstreit liege das Gedanklich-Rationale, das durch Bildung erarbeitet werden kann, mit dem Inspiratorisch-Irrationalen. Dieses sehr alte Thema greift Marion Poschmann mit Bravour neu auf, angelehnt an die Tradition des poeta vates, dem Dichtertypus, der durch Inspiration zu seinen Bildwelten kommt. Dabei gelingen ihr durchaus neue Aspekte – in einem Tonfall, der – ebenso wie die beschriebenen rauchhaften Phänomene – leicht bleibt. Hierbei wird die Undurchschaubarkeit selbst das Thema der durchweg gelungenen Texte.

Es braucht „etwas wie Suchbewegungen“, um in der unscharfen Welt noch irgendeine Verortung des Flüchtig-Diffusen erhaschen zu können. Hinter dem Sichtbaren, das verwischt und sich auflöst, steht das eigentlich Unsichtbare, das Unergründliche: das Ich in all seiner Unerforschbarkeit. Was weiß es von der Welt? Es hat nur sich; alles spiegelt sich in einem – auf der Oberfläche und den Abgründen des eigenen Selbst.

sofern es mich hier gab, in diesem Raum voll Schäumen

war ich ein Badewahn vor weißer Kachelwand

und meinem Spiegelbild. es schien mir unbekannt.

ein heller Widerstand in unsichtbaren Träumen.

„damals wollte ich noch / eine Wolke werden“: Wolken sind immer schon ein Motiv in Marion Poschmanns Dichtung. Es wird versucht, eine sinnliche Nähe herzustellen. Im Text „unter Wolken“ heißt es: „sie waren hier beinahe tastbar, ein dunkler Extrakt, / (…) sie streiften uns fast in diesem Flieder-, / in diesem Lavendellicht (…) wattig und tintentriefend glitten sie über die / Rhythmen der Straßenbeleuchtung hinweg“. Dabei werden die „unerreichbare Bläue, Bläulichkeit, winzige Reservate romantischer /Sehnsucht“. Das lyrische ich fragt sich: „war ich nicht ein Destillat dieser /Abendluft?“

Marion Poschmann steht für Gedichte, die sich spielerisch mit alten Versformen beschäftigen. Schon in ihrem Gedichtband Grund zu Schafen und in ihren Badeoden befasste sie sich ausgiebig mit antiken Odenstrophen. Hinzu kommen in ihrem neuen Band nun Alexandriner. Bereits im zweiten Kapitel „Störbilder“ formiert sich etwas, kündigt sich rein formal schon als Fast-Sonett an, teils nach shakespeareschem Muster. Der vorwiegende Teil des nachfolgenden Kapitels Spieglungen besteht allerdings aus Oden: die Gedichte sind immer 4 alkäische oder asklepiadeische Odenstrophen mit einer an vorletzter Stelle eingeschobenen sapphischen Strophe.

nebelbeinig, hatten wir Schuhe, Straßen

hinter uns gelassen, verloren weiter

Körperteile, ließen Konturen fahren,

die wir sonst waren –

Poschmanns Gedichte sind seit jeher sehr metrikaffin; es sind Texte für Liebhaber, die sich nicht nur für antike Oden begeistern. Ihre Dichtungen, denen Versmaß zugrunde liegt, umfassen dennoch allenfalls ein Fünftel des gesamten Buches. Der überwiegende Teil des Buches sind Gedichte in freier Form. Nur im letzten Kapitel finden sich noch zwei Sonett(versuch)e an, von denen der eine fast wie zufällig in der perfekten, virtuos geglückten Form des Alexandriners stehenblieb. Hier wirkt das Vage in strenger Form gebündelt.

Dabei rückt das Alltägliche niemals aus dem Blick. In den Gedichten finden sich Kühlschranktür, Verkehrszeichen, Ampelsignale, „Autobahnabhang“ und „Supermarkt-Kühlregal“ neben „lichtempfindliche[n] Wäldern[n]“; im Alltagsjargon hütet das lyrische Ich die „Kippen und Stiele von Speiseeis“, werden „elektrifizierte Reliquien“ in Unterführungen „umschwirrt von Fliegen und Pißgeruch“, steht Landschaft, die „bis zum Anschlag geraum, bis zum Abwinken offen“ ist.

In manchen Gedichten geht es tatsächlich um Geister und „das sachte / Verrücken von Briefbeschwerern, kugligen Glasgewichten“: „ich saß wie / in einer gigantischen Schneekugel, fröstelte, / während die Toten, die man memorierte, das / Zimmer durchschneiten. Später, im Text Thomas Mann beim Baron von Schrenck-Notzing, wo eine Séance beschrieben wird, „saß man selbst (…) als schwankendes Taschentuch mitten im Raum. schaukelnde / Ichheiten, kichernd und nicht mehr ganz unbeteiligt, daß etwas ans Licht kommt, was nichts ist / als Licht“. Selbst das „Nachbild der Glühbirne / auf der schwarzen Wand“ ist Lichtphänomen und Geist in einem. In den „rosenfingrigen / Schichtwolken“ klingt Eos‘ Schönheit an, der Göttin der Morgenröte, ein häufiger Ausdruck Homers. Anderswo wird das lyrische Ich „Augenzeuge, wie / eine Verkehrsampel umspringt“. „Glasbausteine / fragmentieren dich zu großen dunklen Flocken“.

Marion Poschmann findet in diskursmischenden Sprachebenen eine erstaunlich klare Ausdrucksform für das Diffuse und Unstete. Die grundlegende Skepsis an allem Dinglichen umfasst ihre eigene Sprache nicht: diese ist sicher und selbstbewusst. Auch mittels origineller neuer Komposita wie Gedächtnisfältelung, Speifiguren, Seifenblasenräume, Halbschlafbecken, Privatwolke, Jahresscheiben, Gemütsdesign, Blickruine oder Blattkonfetti, (er)findet die Autoren sehr poetische Wortschöpfungen. Häufig konstatieren Gedichte in der Vergangenheitsform bereits Geschehenes, wodurch einerseits Distanz zur Gegenwart erzeugt wird, andererseits sich Bilder und Ereignisse, die bereits zur historischen Tatsache erstarrt sind, dem Zugriff des lyrischen Ich entziehen.

Innenkondensation, hoher Bedeckungsgrad.

Ich blieb wegretuschiert. Was uns die Sicht verbarg,

war das Sichtbare; und wir

kontemplierten das Ding aus Dunst.

Marion Poschmanns Gedichtband Geistersehen ist insgesamt wohlkonzipiert und verfolgt durchweg eine klare Linie. Es ist insgesamt ein Buch, dem man sich von vielen Seiten nähern kann und nähern muss; das durch grandiose Wort(er)findungen besticht; das in seiner tiefgründigen Suche nach dem Eigentlichen „in kalten Selbst-Gefilden“ nachhaltig irritiert; das sich nicht zufrieden gibt mit einmal gefundener Klarheit oder gar einer eindimensionalen Erklärung der sichtbaren Welt – die heute ohnehin nicht mehr zu haben ist. Klarheit ist nur in der Sprache. Ein Buch, das weiß, dass Blicke scheitern.

als käme Klarheit auf. als öffneten sich Fenster

auf das, was war, auf nichts. Erinnerungsgespenster,

zu ungreifbar, zu zart. die Blicke scheitern hier.

Ein Buch, das Fragen aufwirft, denen man sich stellen muss. Ein Buch, aus dem man in jedem Fall anders hervorgeht.

Weblink: Suhrkamp Verlag


Bookmark and Share

BLK mit Google durchsuchen: