Leonhard Reul
Sieht man das Cover von Stefan Rißes Buch, befallen den Leser Ängste. Eine riesige Welle aus Papiergeld, zudem eine dunkle Wolke - im Hintergrund die New Yorker Wolkenkratzer, wo Lehman und Konsorten den Finanzmarkt nachhaltig erschütterten. Skepsis macht sich breit – sieht es nicht allzu bauernfängerisch aus, das Cover von „Die Inflation kommt. Die besten Strategien, sich davor zu schützen“? Meint es der Autor wirklich gut mit dem Leser, ist das effekthaschende Titelbild nur unglücklich gewählt oder kommt da ein noch viel abgebrühterer Finanzmarktwolf im Schafspelz daher, der aus unseren Ängsten Kapital schlagen will?
Gegen diese Vermutung spricht das Lob der Witwe Kostolany, die im Nachwort schreibt: „André Kostolany hätte sich über das vorliegende Buch sehr gefreut. […] Stefans Buch enthält die Überzeugungen eines klar denkenden Mannes. Er hat sich nicht von den unverantwortlichen Geldmanagern, Investmentbankern und Fonds-Gurus beirren lassen […]“ Also ist Riße doch einer der Guten, vorausgesetzt man ordnet seinen Mentor, den Börsen-Guru André Kostolany, in diese Riege ein und zweifelt die Urteilsfähigkeit seiner Witwe nicht an. Also haben die zahlreichen Käufer, die dem Buch inzwischen schon weitere Auflagen bescherten, doch schlau gehandelt?
Der Autor wendet sich mit seiner knapp 300 Seiten starken Fibel an den verunsicherten deutschen Anleger. Und bietet ihm einiges. Blättert man anfangs im Inhaltsverzeichnis, so überzeugt auch der Aufbau des Buches. Riße nimmt zunächst die Finanzkrise (noch exklusive Griechenland und Euro-Schwäche) unter die Lupe und erklärt gründlich und leicht verstehbar, wie es zum Lehman-/HRE-Debakel kommen konnte. Er macht klar, weshalb die Regierenden zum Eingriff durch stützende Maßnahmen gezwungen waren. Denn die Fehler der großen Krisen (denen widmet sich Kapitel 2) galt es nicht zu wiederholen – und ja, hier muss man Riße recht geben, wenn er das beherzte Vorgehen der internationalen Geldmengenpolitik als eine Form von Fortschrittsgeschichte ansieht. Denn weder 1929 noch das Japan der 1990er reagierten schlau auf die damaligen Einbrüche.
Freilich – das betont auch Stefan Riße – gibt es keine Gewähr, dass aus der Nicht-Wiederholung alter Fehler die schnelle Belebung des Finanzmarktes oder gar der Realwirtschaft folgt. Denn das „Billionen-Experiment“ (3. Kapitel, den Notenbanken und ihrer Niedrigzinspolitik gewidmet und voller kritischer Töne gegenüber Alan Greenspan) kann auch schiefgehen. Neue Blasen und die Kreditklemme für die Realwirtschaft sind kein unwahrscheinliches Szenario. „Die Pferde müssen schon selbst saufen“, dieses geflügelte Wort des Finanz- und Wirtschaftsexperten und Ministers a. D. Schiller zitiert Riße (etwas zu) häufig, um die mögliche Folgenlosigkeit gut gedachter Staatsinterventionen zu veranschaulichen: Riesige Notenbank-Geldmengen müssen von den Geschäftsbanken angenommen und der Realwirtschaft auch zur Verfügung gestellt werden.
Doch unabhängig ob das billige Geld nun wieder für Investments der Banken oder nachhaltige Unternehmenskredite vergeben wird: Die Geld- und Schuldenmenge der Staaten steigt stetig an (hier fehlt natürlich nicht der Link zur unheimlichen Bundesschuldenuhr) und Riße zweifelt an der Möglichkeit eines kontinuierlichen staatlichen Schuldenabbaus auf ein volkswirtschaftlich erträgliches Normalmaß. Er meint vielmehr, Sparpolitik, Stundung bei nachhaltigem Aufschwung, bis dahin Schuldenbremse und anderes sind nicht mehr realistische Szenarien, weil die Schuldenberge schon viel zu hoch sind, um mit den oben genannten Mitteln Erfolg zu haben. Am sozialverträglichsten baut man derlei Schuldenmengen durch Inflation ab.
Im vierten Kapitel „Das System Geld“ beschreibt er neben den Funktionen des Geldes auch die Wirkweisen von Inflation und Deflation und legt dem Leser dar, warum Staaten immer die Inflation bevorzugen werden, wenn sie zwischen derlei Übeln wählen müssen (oder können). Der soziale Friede ist tatsächlich leichter in Inflationszeiten aufrechtzuerhalten – und der große Schuldner Staat wird wie so viele andere Kleinschuldner auch auf Kosten der Gläubiger (die nur mehr eine nominale, aber nicht mehr wertstabile Stundung ihrer Ausleihen erwarten dürfen) gesunden. Dieses Szenario erbost Riße zwar nicht, da er die Notwendigkeit einer Entschuldung sieht, er will aber den konservativen Kleinanlegern helfen, nicht zu den (ganz) „Dummen“ zu gehören.
Die letzten 50 Seiten seines Buches warten daher mit Tipps zum Inflationsschutz auf. Diese kommen nicht marktschreierisch daher, sondern sind einfühlend argumentativ auf die deutsche Sparerseele abgestimmt. Riße billigt das Sparziel Werterhalt, zählt aber andere Veranlagungen als das beliebte Festgeld und die Lebensversicherungen auf. Anlagen nämlich, die sachwertgestützt bei Inflation mitwachsen und nicht bloß den Nennwert der Spareinlage garantieren helfen. Diese sind in den Bereichen Gold, Immobilien oder substanzstarke Aktien (von zum Beispiel Unternehmen, die Produkte des täglichen Bedarfs vertreiben) zu finden. Diese Ratschläge sind zwar allesamt nicht neu oder gar ungewöhnlich, jedoch aufrichtig analysiert. Denn gesetzt, Rißes Szenario der inflationsorientierten Entschuldungspolitik tritt ein, so wäre der klassische Sparer tatsächlich der Gelackmeierte. Er könnte dann seinen langfristigen Anlagen nur hinterhertrauern, ab dem Zeitpunkt, ab dem sich deren Zinserträge unter das Inflationsniveau begeben – bei Fixzinsen zwischen 1-2 Prozent ist das kein unwahrscheinlicher Fall. Mit jedem Jahr schwände dann nämlich seine Kaufkraft.
Sollte es (aus Rißes Sicht) wider Erwarten nicht zur Inflation kommen, so sind die Anlagetipps zumindest nicht schädlich – und das spricht für Riße. Gleiches gilt für die Mahnung, niemals „auf Kredit“ zu spekulieren, das heißt sich absichtsvoll für eine scheinbar gute Anlage zu verschulden. Überhaupt ist Riße transparent: Er weist auf seine CMC-Tätigkeit im Bereich der CDF-Papiere hin und gibt dem Leser zu bedenken, dass er möglicherweise in diesem Bereich berufsbedingt befangen ist. Das ist löblich.
Ferner ist der gesprochene Klartext für eine „Finanzarchitektur von morgen“ (Kapitel 6) bemerkenswert. Veränderungsnotwendigkeiten bestehen im Bereich der Aufsicht von Banken und Ratingagenturen (dies sind nämlich nur privatwirtschaftliche Bewertungsunternehmen mit Rechnungslegung an die Anlagepapiere emittierenden Unternehmen: Hier ist die Objektivität so mancher AAAs fraglich). Ferner sollte Unternehmen selbst dem Bonus- ein Malus-System für nicht nachhaltige Manager entgegengestellt werden. Das ist kein purer Populismus, sondern das sind aus Erfahrung gewonnene Einsichten und Anregungen. Ein „weniger ist mehr“-Denken im Regelkanon akzeptiert selbst ein Wirtschaftsethiker, wenn dann eine größere Regelverbindlichkeit zu erwarten ist.
In der Summe also ein Buch, das sich durchaus zu lesen lohnt – der Kapitalmarkt wird verstehbarer und dem Bankberater kann man hernach auch auf (anderer) Augenhöhe begegnen. Und meiner Meinung nach sollte gerade dieses das Ziel guten Wirtschaftsjournalismus sein: relevante Erkenntnisse und bedeutsame Entwicklungen allgemeinverständlich zu formulieren und so eine informierte und aktive Teilhabe im Wirtschaftsgeschehen erst zu ermöglichen.
Literaturangabe:
Stefan Riße: Die Inflation kommt. Die besten Strategien, sich davor zu schützen. FinanzBuch Verlag, München 2010. 304 S., 19,90 Euro.
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