MANNHEIM/BERLIN (BLK) - Ohne die Steuerbetrügereien reicher Deutscher wäre das Wort „hinterziehen“ vielleicht schon lange ausgestorben. „Im Gegenwartsdeutsch hat der Begriff nur in Verbindung mit dem Thema Steuern überlebt“, sagte der Sprachwissenschaftler Stefan Kleiner vom Mannheimer Institut für Deutsche Sprache (IDS) in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa in Berlin. In anderen Zusammenhängen tauche das Verb „hinterziehen“ oder auch das dazugehörige Substantiv „Hinterziehung“ nicht mehr auf.
„Dass das Wort überlebt hat, liegt vermutlich daran, dass es in der Sprache der Juristen schon früh gebräuchlich war und sich dort bis heute gehalten hat“, sagte Kleiner. Bei seinen Recherchen über die Geschichte des Wortes stieß er im Grimmschen Deutschen Wörterbuch auf einen Eintrag, der vom Ende des 16. Jahrhunderts stammt. „Dort wird die Bedeutung ‚unterschlagen, für sich behalten’ mit dem Zitat belegt ‚dasz sie nichts verschweigen noch hinderziehen solle’.“
Der Zusammenhang mit einer Steuerschuld sei dort aber noch nicht erwähnt. „Dafür gibt es dann erste Quellen vom Anfang des 18. Jahrhunderts. So erschien 1718 in Bremen ein Büchlein mit dem Titel ‚Verwarnung vor Hinterziehung der Tabaksteuer’“, berichtet Kleiner.
Den Ursprung des Wortes vermutet der Forscher in der konkreten Bedeutung „nach hinten ziehen“. Daraus habe sich schließlich die übertragene Bedeutung „hinterziehen“ entwickelt, was so viel meinte wie „etwas zurückziehen, aufhalten, hintertreiben“. Warum sich das Wort schließlich nur im Zusammenhang mit Steuersünden hielt und sich seine Bedeutung damit derart verengte, könne nicht eindeutig geklärt werden. „Sprache war schon immer lebendig, neue Worte kommen und alte gehen, das ist ganz normal“, sagte der Sprachwissenschaftler.
Der Sprachexperte hat in einem digitalen Archiv aus Tageszeitungen seit 1985 gut 500 Treffer für die Varianten von „hinterziehen“ gefunden. „Sie beziehen sich alle ohne Ausnahme auf Steuern.“ Für „Hinterziehung“ fand Kleiner 700 Belege. Am meisten Treffer habe es für „Steuerhinterziehung“ gegeben - nämlich 18 000. Dieses Wort habe 2008 während der Liechtenstein-Affäre Hochkonjunktur gehabt: 2900 Belege fand Kleiner, im Vorjahr 2007 waren es nur knapp 1000 Treffer. (dpa/wer)
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