Der römische Kunst- und Kulturhistoriker Roberto Zapperi ist ein begeisterter Detektiv. Er spürt Menschen nach, die schon lange tot sind: in allen Archiven, die er kennt. Dieser Neigung verdanken wir unter anderem das schöne Buch über Goethes römisches „Incognito“, das so manches klärte, was bislang den Germanisten verborgen blieb. Gleichwohl hat er immer noch etwas zu erzählen über „Römische Spuren“ und „Goethe und sein Italien“.
So hat Zapperi den Lehrer aufgespürt, der Goethes Vater Johann Caspar Unterricht im Italienischen gegeben hat. Den brauchte der Alte, hatte er doch den Reisebericht über die eigene Kavaliersreise nach Italien in eben dieser Sprache verfasst. Dafür brauchte er dringend jemanden, der seine Fehler korrigierte – so groß waren nämlich seine Sprachkenntnisse nicht. Dieser Lehrer hieß Domenico Giovanazzi und war ein aus der Kutte gesprungener Mönch, den es nach Frankfurt verschlagen hatte. Er kam ins Haus des wohlhabenden Kaufmanns und erteilte Unterricht in gutem Stil.
Auch Tochter Cornelia durfte die Sprache lernen, während Johann Wolfgang Latein büffeln musste, hatte ihn der Vater doch fürs Jura-Studium vorgesehen. Aber der Kleine muss wohl doch einiges aufgeschnappt haben. Er meinte genug, als er später zu seiner ersten Italienreise aufbrach. Erst währenddessen wurde er belehrt, dass es mit seinem Wissen um diese Sprache nicht weit her war. In Venedig (wo Dialekt gesprochen wurde) verstand er so gut wie nichts. Er musste noch einmal zu lernen beginnen und Zapperi weist nach, dass Goethes Italienisch-Kenntnisse (einschließlich des römischen Dialekts) am Ende beträchtlich gewesen sein müssen.
Gelernt hat er es im Umgang mit dem „einfachen Volk“, mit dem der seinen Pflichten entflohene Minister des Herzogs von Sachsen-Weimar umging. Zusammen mit seinen Gefährten, den deutschen Malern Tischbein, Georg Schütz und Friedrich Bury, war er Pensionsgast bei der Familie Collina, die vor allem vom Zimmervermieten lebte. Von Tischbein sind eine Reihe Zeichnungen erhalten, die das unbeschwerte, ja übermütige Leben des Künstlervölkchens festhalten (für das Goethe eigentlich längst zu alt war).
Auf einer dieser Zeichnungen ist der Gipsabguss der monumentalen „Juno Ludovisi“ zu sehen, die Goethe schon kurz nach Beginn seines römischen Aufenthalts erstanden hatte. (Sie bekam im Haus am Frauenplan einen Ehrenplatz.) Zapperi befasst sich ausführlich mit dieser Plastik, die Winckelmann, Goethes Mentor in Fragen antiker Kunst, nicht besonders gut gefallen hatte.
Zapperi, auch ein genauer Leser von Goethes Werken, verfolgt auch die italienischen Spuren im „Wilhelm Meister“ und befasst sich etwa mit der Figur des Harfners und seinem historischen Vorbild. Er beschreibt die Faszination, die die Malerin Angelika Kauffmann, seit je in Rom ansässig und eine dort begehrte Porträtmalerin, auf den zum Missmut neigenden Herder ausübte. Dieser stattete Rom erst einen Besuch ab, als Goethe schon wieder in Weimar war. Eine durchaus harmlose Passion entwickelte sich, die Herders in Weimar zurückgebliebene Frau Caroline gleichwohl mit einigen Misstrauen gesehen haben muss. So geht es aus den Briefen des Ehepaars hervor. Herder hatte seiner Gattin allzu begeistert von Angelika berichtet.
Schließlich hat Zapperi alles zusammengetragen, was den römischen Aufenthalt der Herzoginmutter Anna Amalia betrifft: auch die Dame vom Adel fand Geschmack an den einfachen Vergnügungen der kleinen Leute und der Melodramatik der römischen Oper. Zu einer Zeit, wo nach einer Verfügung des Papstes von 1588, alle Frauenrollen von Männern gegeben werden mussten.
Nicht dass Anna Amalia incognito gelebt hätte. Sie war mit einem kleinen Hofstaat von fünf Personen gekommen und verkehrte in den „höchsten Kreisen“, wie es einer Fürstin zukam, aber eben nicht immer. Sie fand Zeit, sich außerhalb von Hof- und Kurienzeremoniell zu vergnügen und so wurde für sie die Italienreise zu einer Art Jungbrunnen – wie sie es auch für Goethe selbst gewesen war. Der war da freilich längst wieder in Weimar und brauchte nicht den Cicerone für die hohe Frau spielen, das übernahm sein Malerfreund Bury.
Zapperi hat lauter Miniaturen verfasst. Sie handeln von Vorfällen und Dingen, die man selbst als Klassikerfreund nicht unbedingt wissen muss, die aber interessant sind, zumal wenn sie mit so viel Behagen beschrieben werden, dass man die Lektüre nicht bereut. Das Kuriositätenkabinett des neugierigen Archivars macht Spaß.
Literaturangaben:
ZAPPERI, ROBERTO: Römische Spuren. Goethe und sein Italien. Aus dem Italienischen von Ingeborg Walter. C.H. Beck Verlag, München 2007. 169 S., 19,90 €.
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