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Streit um Kafka-Briefe

Diverse Institutionen bewerten deren Versteigerung als kulturellen Ausverkauf

© Die Berliner Literaturkritik, 09.02.11

Von Esteban Engel

BERLIN/MARBACH (BLK) - Ob für Milena oder Felice – die Liebesbriefe Franz Kafkas (1883-1924) sind fast so berühmt wie seine Erzählungen. Die amouröse Korrespondenz, aber auch die Briefe an den strengen Vater, sie gehören ebenso zu Kafkas literarischem Vermächtnis wie „Der Prozess“, „Die Verwandlung“ oder „Das Schloss“. Am nächsten fühlte sich der Schriftsteller seiner jüngsten Schwester Ottilie. Vor Ottla, wie sie genannt wurde, hatte Kafka keine Geheimnisse, schrieb Biograf Klaus Wagenbach. In Berlin sollen nun für mindestens eine halbe Million Euro 111 Briefe und Karten aus der Post zwischen Franz und Ottla versteigert werden. Dagegen regt sich Widerstand.

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Das Goethe-Institut, die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und andere Institutionen befürchten einen kulturellen Ausverkauf. Die kostbare Sammlung gehöre nicht in Privathände, sondern an die Öffentlichkeit. Sonst drohten die Dokumente für die Forschung verloren zu gehen, heißt es in einem Offenen Brief. Die Kulturmanager warnen vor einer Zerschlagung des Konvoluts und haben dazu aufgerufen, das Deutsche Literaturarchiv in Marbach finanziell so zu unterstützen, dass es bei  der Auktion am 19. April mitbieten und die Briefe erwerben kann.

Über Jahrzehnte hatten Ottlas Töchter Vera und Helene die Briefe in Prag aufbewahrt, 1970 gingen sie als Leihgabe an die Bodleian Library der Universität Oxford. Nun lässt ein Enkel von Ottilie die Dokumente vom Berliner Auktionshaus J.A. Stargardt versteigern.

Das Marbacher Literaturarchiv ist bereits auf der Suche nach zahlungskräftigen Helfern für den Erwerb der 45 Briefe, 32 Postkarten und 34 Bildpostkarten. „Wir hoffen natürlich sehr, dass wir die notwendige Unterstützung erhalten“, sagte eine Sprecherin. Nach Oxford liegen in Marbach die meisten Kafka-Originale. 

Mit seiner gedrängten Handschrift gibt Kafka in den Briefen Einblick in sein Leben und in die innige Beziehung zu Ottilie. Er habe drei Schwestern, „eine verheiratet, eine verlobt, die ledige ist mir unbeschadet der Liebe zu den anderen, die beiweitem liebste“, bekannte sich Kafka in einem Brief an Felice Bauer zu Ottla.

Immer wieder offenbarte der pessimistische Prager in den Botschaften an die Schwester seine Nöte - ob zur unbefriedigenden Anstellung bei der «Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt für das Königreich Böhmen» oder zu seiner labilen Gesundheit und den langen Aufenthalten in Sanatorien und Kuranstalten. „Du hast mir, denke nur, mit Deiner Karte einen verzweifelten Morgen in Augenblicken erträglich gemacht”, schreibt er etwa im Juli 1914.

Ottilie, das sechste Kind des Kaufmanns Hermann Kafka und seiner Frau Julie, war das Nesthäkchen der Prager Familie. Nachdem die älteren Geschwister ausgezogen waren, mussten sich Franz und Ottla daheim des autoritären Papas allein erwehren. Der Vater kenne keine andere Erprobung als die „des Hungers, der Geldsorgen und vielleicht der Krankheit”, schreibt Franz. Daraus leite er wohl das Recht ab, „uns jedes freie Wort zu verbieten”, beklagte er sich bei Ottla. 

Unter dem Einfluss von Franz interessiert sich Ottilie für die zionistische Bewegung. Als sie sich im Ersten Weltkrieg entschließt, ein kleines Gut im westböhmischen Dorf Zürau gegen den Protest des Vaters zu kaufen, steht ihr der Bruder zur Seite. Auch beim unglücklichen Verhältnis zwischen Ottla und Josef David ist Kafka eine wichtige Stütze. David ist katholisch und nationalistisch gesinnt, Ottla hält die Beziehung lange geheim, sie fürchtet sich vor der Ablehnung des Vaters.

Der letzte Brief der Sammlung stammt aus der ersten Januarwoche 1924. Kafka ist in Berlin, er bedankt sich bei Ottilie für die Marmelade in der Weihnachtspost. Am 3. Juni 1924 stirbt Kafka im Sanatorium Kierling bei Klosterneuburg mit 40 Jahren. Ottlas Ehe wird 1942 geschieden. Damit verliert sie als Jüdin den Schutz vor der Verfolgung durch die Deutschen. 1943 begleitet sie freiwillig eine Gruppe von Kindern in das Konzentrationslager Auschwitz. Wie die beiden anderen Kafka-Schwestern wird Ottla in den Gaskammern ermordet.


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