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Streiter für Demokratie: Oskar Negt 75

Von Ruhestand kann keine Rede sein

© Die Berliner Literaturkritik, 30.07.09

Von Christina Sticht

HANNOVER (BLK) - „Risse und Widersprüche aufdecken betrachte ich als zentrale Aufgabe des politischen Intellektuellen, als der ich mich verstehe“, sagt Oskar Negt. Als junger Soziologe und Philosoph avancierte er einst zu einem Wortführer der 68er-Studentenbewegung, 30 Jahre später wurde der Professor und Gründer einer Reformschule in Hannover kulturpolitischer Berater des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD). Am Samstag (1. August) feiert der profilierte Vordenker der Linken in Deutschland seinen 75. Geburtstag.

Von Ruhestand kann keine Rede sein. Noch immer mischt sich Oskar Negt ein, hält so viele Vorträge wie nie, schreibt Bücher und streitet darin für Gerechtigkeit, direkte Demokratie sowie bessere Bildung. „Oskars ebenso geistreiche wie loyale Kritik hat mir immer geholfen“, sagt Altkanzler Schröder über seinen langjährigen Berater. „Dieser hoch angesehene Soziologieprofessor mit dem ostpreußischen Dickschädel und dem sanften Gemüt war mir oft ein kluger Ratgeber. Dafür bin ich ihm sehr dankbar.“

Im Bundestagswahlkampf tritt Negt, der 1961 wegen seiner Mitgliedschaft im Sozialistischen Deutschen Studentenbund aus der SPD ausgeschlossen wurde, für SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier ein. Er bezeichnet sich als „SPD-Sympathisanten“, auch wenn er meint: „Die Partei muss sich ändern, wenn sie an Ansehen gewinnen will.“ Im Augenblick sei die SPD dabei, ihr Gerechtigkeitsansehen zu verlieren, weil die gesellschaftlichen Proportionen nicht mehr stimmen: „Armut vergrößert sich, jeder siebte Deutsche ist Niedriglohnempfänger, jedes fünfte Kind wächst unter Armutsbedingungen auf und der scheidende Porsche-Chef hat eine Abfindung von 50 Millionen Euro zu erwarten.“

Selbst ein politisches Amt zu übernehmen kam für Negt jedoch nie infrage. Er habe sein tiefes Misstrauen gegen Institutionen bewahrt, sagt der Wissenschaftler und zitiert frei nach Immanuel Kant: „Wenn die Philosophen Könige werden, werden sie blind, machtblind.“ Für den Schüler von Theodor W. Adorno und Jürgen Habermas beginnt die Lösung gesellschaftlicher Probleme ohnehin an der Basis, in den Kindergärten und Schulen. Der Vater von vier erwachsenen Kindern gründete in Hannover zunächst antiautoritäre Kinderläden als Alternative zu staatlichen Einrichtungen und 1972 die Glocksee-Schule, eine der wenigen verbliebenen deutschen Reformschulen.

„Oskar Negt ist einer meiner besten Freunde. Wir kooperieren seit 1972“, sagt der Filmemacher und Schriftsteller Alexander Kluge. „Er ist einer der führenden Denker der Kritischen Theorie.“ Gerade hat der gebürtige Ostpreuße, der als Flüchtling nach Niedersachsen kam, das mehr als 1000-seitige Manuskript für sein neues Buch vollendet.„Der politische Mensch. Demokratie als Lebensform“ wird in Negts Werkausgabe im Göttinger Steidl Verlag erscheinen. „Ich will die politische Bildung in den Vordergrund rücken, weil ich sehe, wie sich rechtsradikale Tendenzen ergeben und die Integration der osteuropäischen Länder sehr kompliziert ist.“

Negt bleibt eben ein unermüdlicher Streiter für Demokratie, ein unabhängiger Geist, der freundlich, aber bestimmt seine Kritik angesellschaftlichen Entwicklungen vorbringt. Sich zur Ruhe setzen will der emeritierte Professor der Leibniz Universität Hannover noch lange nicht. „Ich arbeite weiter, solange mein Kopf einigermaßen klar ist“.


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