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Subkutane Gesellschaftskritik

Alan Bennet trumpft auf mit seinem Roman „Handauflegen“

Von: ROLAND H. WIEGENSTEIN - © Die Berliner Literaturkritik, 16.09.09

Jonathan Swift hätte sich den Bart gekrault (wenn er denn einen hatte) und zustimmend genickt: Bei Euch geht es auch nicht viel anders zu als bei uns damals. Alan Bennet kennt seinen Swift natürlich, er ist ein gebildeter Satiriker, den wir in unserer humorfernen Nation reichlich spät entdecken, schließlich ist der Mann bereits über siebzig Jahre alt und auf der Insel längst berühmt. Hierzulande musste er erst aus der Königin Elizabeth II. eine „souveräne Leserin“ machen, ehe er auf die Bestsellerlisten geriet und seine schon ein bisschen ältere Scharade „Handauflegen“ zum zweiten Mal veröffentlicht wurde. Darin geht es um einen völlig aus dem Ruder laufenden Gottesdienst (vielmehr eine „Erinnerungsfeier“) in einer etwas abgelegenen Londoner anglikanischen Kirche.

Die Trauerversammlung, die darin eines jüngst Verblichenen gedenkt, eines Vierunddreißigjährigen, der in Peru verstarb, könnte gemischter nicht sein. Alle verbindet eines, sie haben diesen Clive gekannt, der ihnen – gegen saftiges Honorar – nicht nur heilsame Massagen, sondern ohne Ansehen des Geschlechts jene intimen Freuden angedeihen ließ, für die in Zeitungen mit Kleinstanzeigen geworben wird. Unter den wachsamen Augen des mürrischen Erzdiakons Treacher, der den Gemeindepfarrer Geoffrey Jolliffe auf seine Eignung für höhere Aufgaben prüfen soll (auch dieser war ein gelegentlicher Kunde des vielbeschäftigten Clive), paradieren all die Typen, die man aus „screwball-comedies“ angelsächsischer Prominenz (und neuerdings aus dem ehrwürdigen britischen Parlament und der von ihm bestallten Regierung) kennt: Bennet beschreibt die gelifteten Larven und den schalen Hochmut der „upper class“ und ihrer vom Fernsehen verleiteten Nachbeter mit bösem Witz, als Karikaturen der nackten Wirklichkeit.

Der Erzdiakon ist nicht amüsiert, umso weniger, je weiter die Veranstaltung fortschreitet, eine jener religiösen Zumutungen, in denen „aufgeschlossene Geistliche“ die ihnen längst abhanden gekommene „Botschaft“ mit Saxophon und Rezitation (nicht aus der Bibel) aufhübschen wollen. Doch als nach dem offiziellen Teil, der grotesk genug verläuft, der unglückselige Geoffrey die zahlreich Erschienenen auffordert, in aller Kürze das Ihre zum Preis des so früh Verstorbenen zu sagen, wird das Ganze haarsträubend: Einer von Clives „Freunden“ will unbedingt von den sexuellen Wohltaten des toten Callboys erzählen und würzt seine Rede mit dem Hinweis, der Arme sei ja schließlich an Aids gestorben. Das, was die so eitel Trauernden insgeheim gefürchtet haben, löst, einmal ausgesprochen, den baren Schrecken aus und Bennet muss all seine raffinierten literarischen Tricks, seine Bosheit, seine Ironie, sein gespieltes Wohlwollen mobilisieren, damit diese Komödie der Heuchelei (und Angst) nicht abgleitet ins Billige. Er ist – und das macht seine Kunst aus – dazu wunderbar in der Lage.

Seine Karikaturen bekommen für ein paar Seiten eine tragikomische Dimension. Doch er ist zu nett, um nicht gleich wieder Entwarnung zu geben. Die von der Last, womöglich angesteckt zu sein, Befreiten geraten in einen gemäßigten Freudentaumel: Hoch lebe Clive der Tote, der uns verschont hat. Das moderne Pfarrerlein, dem sein Beichtvater die Homosexualität immer nachgesehen hat, wird mit seinen Eskapaden nun ein wenig unvorsichtiger sein und alle anderen werden weitermachen wie bisher. Schließlich ist ja nichts passiert. Die Fassaden einer Spaßgesellschaft haben nur einen Moment lang gewackelt.

Bennet kann Gesellschaftskritik so verpacken, dass sie subkutan wirkt. Irgendwie wird man den Verdacht nicht los, dass die Bosheit dieses Komikers nur darum so funkelt, weil er, konservativ und skeptisch bis auf die britischen Knochen, eigentlich seinem missmutigen Erzdiakon recht gibt: „Weniger Gefühl, das war es, was Treacher wollte, denn seiner Meinung nach sollte die Kirche ein Bollwerk gegen die allgemeine emotionale Verweichlichung sein. Die Gelegenheiten, seinen Gefühlen öffentlich und sogar im Fernsehen freien Lauf zu lassen, wurden immer mehr – Bekenntnisse, Trauer, Wut, und immer nah am Wasser -, und daher meinte Treacher, dass ein Ort der trockenen Selbstkontrolle dingend benötigt würde, und dieser Ort war die Kirche. Das war keine besonders populäre Meinung, und manchmal fühlte er sich wie ein Jesuit auf der Flucht im elisabethanischen England: versteckt im Untergrund, aber an seinem alten Glauben festhaltend, auch wenn die Pfeiler dieses Glaubens, nämlich Diskretion, Zurückhaltung und Ehrfurcht vor der Tradition, eher zu einem Schneider als zu einem Geistlichen zu passen schienen.“

Vermutlich hat Bennet, der seine Pointen so trefflich setzen, eine Handlung so professionell bis ins Absurde treiben kann, doch mehr mit Chesterton als mit Swift zu tun, der immerhin empfahl, die armen Kinder der verelendeten Unterschicht zum Verzehr durch die Reichen freizugeben, was dem ehrwürdigen Pater Brown nie eingefallen wäre. Und Bennet auch nicht: Er hält zwar der modernen Gesellschaft den Spiegel vor, aber der ist mit so vielen bunten Schleifen garniert, dass man über die herzhaft lachend spotten und sich den Blick ins trübe Glas leicht ersparen kann. Denn: Lachen ist gesund – so sagt man doch.

Literaturangabe:

BENNET, ALAN: Handauflegen. Aus dem Englischen von Ingo Herzke. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2009. 96 S., 9,90 €.

Weblink:

Verlag Klaus Wagenbach

Roland H. Wiegenstein arbeitet als freier Literatur- und Kunstkritiker für dieses Literaturmagazin. Er lebt in Berlin und Italien


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