KALNOKY, BORIS: Ahnenland - oder Die Suche nach der Seele meiner Familie, Droemer-Verlag, München 2011, 496 S., 22,99 €.
Von Ulrike Cordes
In Transsilvanien ist nicht nur Graf Dracula zu Hause. Seit Urzeiten hat in jener Karpatengegend im heutigen Rumänien, die man auch Siebenbürgen nennt, ein weit verzweigter, schillernder Adelsclan namens Kálnoky gehaust und geherrscht. Bis zur Enteignung nach dem Zweiten Weltkrieg - und heute wieder, seit Fall des Eisernen Vorhangs. Gründungsvater des vormaligen Turkgeschlechts war ein gewisser Akadás, dessen Sohn 1252 vom Ungarnkönig Béla IV. Land geschenkt bekam. Fast 800 Jahre später bringt der Journalist Boris Kálnoky Licht ins Halbdunkel eines oft vergessenen Stücks Mitteleuropa.
„Ahnenland - oder Die Suche nach der Seele meiner Familie“ nennt der 1961 in München geborene Autor sein originelles, oft skurriles und dabei anscheinend historisch sehr fundiertes 500-Seiten-Werk. Die Kálnokys brachten viele interessante Charaktere hervor wie etwa Urgroßvater Hugó Leopold (1844-1928), Ballonfahrt-Pionier und berühmtester Reiter der K.u.K.-Monarchie. Die Magnatendynastie, die im 18. Jahrhundert einen mährisch-österreichischen Zweig begründete, prägte die politische Entwicklung der späteren Donaumonarchie sowie der ganzen unruhigen Region entscheidend mit.
Boris Kálnoky - allein das wirkt heute faszinierend - konnte sich bei seinen vierjährigen Recherchen durch Mengen uralter Urkunden, Akten, Briefe, Tagebücher, Zeugnisse und Zeitungsartikel aus Familienbesitz hindurch lesen. Stets fesselt in seinem einfühlsam geschriebenen Band das Zusammenspiel von privater und großer Geschichte. Blutig rangen Ungarn, Deutsche und Rumänen immer wieder um die Herrschaft im freiheitsliebenden Siebenbürgen - und ein ungarisch sprechender Kálnoky war häufig eine treibende Kraft.
Das bewahrte den mährischen Zweig der Familie übrigens nicht davor, in Österreich-Ungarn nur zum marginalen Adel gezählt zu werden. Dort war man eben nicht seit dem späten Mittelalter etabliert - und die virtuose Heiratspolitik des Hauses führte zwar zeitweilig zu viel Besitz, aber nicht automatisch zu großem Prestige. Mit besonderer Kaisertreue bemühte man sich, das Manko auszugleichen.
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Lange kannte Boris Kálnoky das Land seiner Vorfahren nur aus Erzählungen. Während sein Bruder nach dem Untergang des Ostblocks sogleich Schloss Miklósvár zurück pachtete, dort heiratete und wieder Wurzeln schlug, ging der in Deutschland, den USA, Holland und Frankreich aufgewachsene Autor den geistigen Weg: Er fand die ersehnte Heimat und Identität in der literarischen Aneignung der eigenen Vorvergangenheit. „Wir stehen auf den Schultern unserer Ahnen“, resümiert er in seinem Buch.
In Großvater Hugó, der zeitlebens ohne viel äußeren Glanz, aber immer mit hohen Idealen auf Wanderschaft gewesen war, entdeckte Boris Kálnoky seinen nächsten Seelenverwandten. Und mit ihm diverse Lebensweisheiten. Das Wichtigste ist im Herzen, lautet eine. Und eine andere: Es kommt nicht darauf an, was man tut, sondern wie man es tut.
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