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Surfpoeten zum selber lesen

Selber lesen macht nur halb so schlau

© Die Berliner Literaturkritik, 29.04.12

Dieser Text erschien erstmals am 29. April 2005 in diesem Literaturmagazin.

AHNE/ SPIDER et. al: Die Surfpoeten. Mit Audio CD. Verlag Voland & Quist, Dresden und Leipzig 2005. 131 S., 12,80 €.

Von STEFANIE HARDICK

Lesebühnen gewinnen ihren großen Reiz daraus, dass der Leser zum Zuhörer wird. Der Genuss der Lektüre verlagert sich in die Öffentlichkeit, die wiederum gerade in Berlin als öffentliches Wohnzimmer daher kommt – so zum Beispiel im Kaffee Burger oder im Mudd Club, der Heimat der Surfpoeten. Mit der kürzlich erschienen handverlesenen Auswahl von Texten dieses Autorenkollektivs schließt sich der Kreis, und jeder Leser kann sie nun individuell im stillen Kämmerlein wortwörtlich nach-lesen. Vorgelesen bekommt er sie freilich auch, denn der Verlag Voland & Quist legt dem dünnen Büchlein eine Audio-CD bei, die der Edition erst den wahren Kaufanreiz liefert.

Verwirrende Verbindungen

Die Berliner Lesebühnen-Szene ist derart komplex miteinander verknüpft, dass es sich anböte, eine Skizze im Stile der „Wer-mit-Wem“-Organigramme von Vorabendserien zu entwerfen. So liest sich auch die Dankesliste der Surfpoeten wie der Veranstaltungskalender dieses Literaturmagazins, dessen Internetversion ja noch weit umfangreicher ist, als der Kalender am Ende dieses Heftes: Ahne, Spider, Michael Stein, Tube und Robert Weber geben sich die Ehre und tingeln zeitweise über die Lesebühnen der Chaussee der Enthusiasten, der Reformbühne Heim und Welt, sind Teil der Brauseboys, der Erfolgsschriftsteller und von LSD. Auf ihrer eigenen Bühne im Mudd Club werden sie jeden Mittwoch von Lt. Surf musikalisch unterstützt und untermalt, anschließend wird aufgelegt und Bier gibt es auch.

Für Berliner dürfte es kaum einen Grund geben, sich die Surfpoeten per Konserve ins traute Heim zu holen, kann er sie sich doch an fast jedem Tag der Woche irgendwo live anhören. Selbst dem allergrößten Fan dürfte nach den zwei Kompilationen, die Ahne bereits solo vorgelegt hat, klar geworden sein, dass Lesebühnen-Texte eben nur gelesen richtig gut funktionieren. Selber lesen macht nämlich nur halb so schlau. Aus der Erinnerung ergänzt das Hirn die wurstige Gestik, das Sich-Winden auf der Bühne, das Berliner Genuschel höchst unvollkommen und stiehlt sich damit selbst die Hälfte des Vergnügens.

Lesebühne in der S-Bahn

Dennoch ist das kleine Büchlein ein Vergnügen: Die 37 Texte lesen sich schnell und unterhaltsam weg, bieten gerade genug Lesestoff für eine S-Bahn-Fahrt nach Wannsee und zurück. Dafür bietet der Lesende den anderen Mitfahrern in dieser S-Bahn genug Gesprächsstoff, denn laut lachen muss er natürlich trotzdem. Zu schön sind die Beobachtungen, Analysen und Zukunftsvisionen, die die Surfpoeten hier darbieten. Und gerade die leisen Texte bekommen hier eine zweite Chance,  die ihnen an den Live-Abenden, bei denen ja doch jeder insgeheim auf die Schenkelklopfer und die „Ficken“-, „Mahlzeit“- und „Wohnungsbesichtigungs“-Texte wartet, nicht gegeben wird. Für Berliner in der Diaspora ist das Surfpoeten-Büchlein ein wahres Survival-Packet, das gegen die schlimmsten Entzugserscheinungen von der Hauptstadt Wunder wirkt.

Subtil liebevoll erzählt Tube vom „Bisoneffekt“ und von einer „ungewöhnlichen Diskussion am Morgen“ mit einem Mann vor seinem Fenster im vierten Stock. Spider ergeht sich in Gedankenspielen über ein zukünftiges Deutschland, in dem Ehe-Zwang herrscht, die Toiletten-Häuschen den Telefonzellen nachfolgend abgeschafft wurden, dafür aber das Geld zum Arbeiten geschickt wird. Ahne erklärt die Evolution und wie man mit vier Polen heil in Düsseldorf ankommt. Robert Weber arbeitet die lyrischen Qualitäten von Alkohol heraus und zu jedem der Texte gibt Lt. Surf eine Musikempfehlung.

Die beigelegte CD versammelt ein paar dieser Songs, sieben der besten Texte aus dem Buch, sowie sechs weitere Bonustracks, ist also sozusagen das Beste aus „Best-of Surfpoeten“. Es bringt ein Stückchen Lesebühne ins Wohnzimmer und bietet den perfekten Soundtrack für unterwegs. Schon allein für diesen Tonträger lohnt sich der Kauf.


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