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Surreale Erzählung

Shane Jones hat mit „Thaddeus und der Februar“ eine Traumwelt geschaffen

© Die Berliner Literaturkritik, 26.02.10

FRANKFURT AM MAIN (BLK) – Im Januar 2010 ist Shane Jones surrealistischer Roman „Thaddeus und der Februar“ im Eichborn Verlag erschienen. Er wurde von Chris Hirte aus dem Englischen übersetzt und mit Illustrationen von Ria Brodell versehen.

Klappentext: Viele hundert Tage schon währt die kalte Herrschaft des Februars: Der Wechsel der Jahreszeiten ist außer Kraft gesetzt, finstere Priester patrouillieren, Papierdrachen dürfen nicht mehr zum Himmel aufsteigen, Kinder verschwinden im Wald. Traurigkeit legt sich über die Stadt wie der Schnee, der endlos fällt, doch die Erinnerung an warme Tage lebt weiter. Die Stadt beschließt, in den Kampf zu ziehen, den Winter zu besiegen, und Thaddeus, der Ballonfahrer, soll ihr Anführer sein. Doch dann stößt Thaddeus in einer Hütte am Waldrand auf den Februar selbst - und es ist ein Mann, der eine Geschichte schreibt: die Geschichte der Stadt...

In Shane Jones Roman regiert die Fantasie, um von etwas zu erzählen, das tief in uns existiert. Thaddeus und der Februar ist surreal und poetisch - eine zeitlose Geschichte aus Archetypen und Traumwelten, voller Abgründe und Wunder, so einzigartig wie jede Schneeflocke, die vom Himmel fällt.

Shane Jones wurde 1980 geboren und hat Kurzgeschichten und Gedichte veröffentlicht. „Thaddeus und der Februar“ ist sein erster Roman. Im Sommer 2010 erscheint der Roman in den USA bei einem großen Verlag ein zweites Mal. Er soll demnächst verfilmt werden. (wer)

Leseprobe:

                                                                 ©Eichborn Verlag©

Wir saßen auf dem Berg und sahen den Ballons zu. Die Flammen in den Ballons erhitzten die Hüllen, bis sie in Neonfarben glühten. Die Kinder spielten Vorhersage. Sie zeigten auf Löcher am Himmel und warteten. Manchmal glühten alle Ballons gleichzeitig und bildeten ein Lichterzelt über der Stadt, unter deren Dächern die Traurigkeit des Februars wuchs. Nächte wie diese werden bald nicht mehr sein, flüsterte mir Selah ins Ohr.

Die Tage wurden kälter, die Wolken dichter. Wir saßen auf dem Berg und sahen den Ballons zu. Die Flammen in den Ballons erhitzten die Hüllen, bis sie in Neonfarben glühten. Nächte wie diese werden bald nicht mehr sein, sagte Bianca. Sie kam aus dem Wald gerannt. Dort hatte sie drei Kinder gesehen, die den Eulen die Hälse umdrehten. Nächte wie diese werden bald nicht mehr sein, sagten die Metzger und schritten den Berg hinab.

Wir saßen da, um die Ballons zu sehen, ein letztes Mal. Die Neonfarben brannten sich uns ins Gedächtnis ein. Überall in der Stadt quiekten die Schweine, die Scheiben klirrten. Ein Schweinsrüssel, massig und rosa, strich über die Rundung eines Ballons. Der Stoff spannte sich um die dunklen Nasenlöcher - bis zum Zerreißen, und so blieb er. Noch immer standen die Kinder mit erhobenen Laternen in einer Reihe, um zu sehen, wie der erste Februarschnee die Felder bedeckte. Selah senkte den Kopf. Selah faltete die Hände im Schoß. Selah sah die Hinterköpfe der Kinder, sah, wie sich Eisklümpchen in ihren Haaren bildeten.

Wir können nur beten, flüsterte sie. Ich betrachtete Selah und dachte an die Löwenzahnblüten zwischen ihren Zähnen. Ich dachte an eine heiße Sonne, einen schmelzenden Eisberg in ihren gefalteten Händen. Sie fassten sich zu Dutzenden bei den Händen und bildeten Kreise um ihre zusammengefallenen, schwelenden Ballons. Seidene Globen aus Magenta Grasgrün Himmelblau. Schlammbespritzt, durchnäss vom Weihwasser, mit schwarz versengten Nähten. Ich verstehe das nicht, sagte Bianca. Ich auch nicht, sagte Thaddeus. Macht das der Februar?, fragte Bianca. Vielleicht, sagte Thaddeus, der zum Himmel aufsah.

Ein Pergament, an eine Eiche genagelt, proklamierte das Ende von allem, was fliegen konnte. Die ganze Stadt versammelte sich um den Baum, um die Inschrift zu lesen. Trompeten klagten in den Wäldern. Vögel fielen von den Zweigen. Die Priester liefen äxteschwingend durch die Straßen. Bianca klammerte sich an Thaddeus Bein, er hob sie auf die Schultern und sagte ihr, sie solle seinen Hals umfassen wie einen jungen Baum, und dann rannte Thaddeus.

Vor dem Haus, in dem sie wohnten, lagen die Ballons auf der Erde ausgebreitet, die Körbe von Äxten zerhackt. Priester tauchten ihre Laternen in die Hüllen. Thaddeus, Selah, Bianca und andere aus der Stadt fassten sich bei den Händen und bildeten einen Kreis Februar, wiederholten sie, Februar, bis der Sprechchor zum Gesang wurde. Bis alle das Bäumchen zu sehen glaubten, das aus der Mitte der brennenden Ballons spross.

                                                                 ©Eichborn Verlag©

Literaturverzeichnis:

JONES, SHANE: Thaddeus und der Februar. Übersetzt aus dem Englischen von Chris Hirte und mit Illustrationen von Ria Brodell. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2010. 176 S., 16.95 €.

Weblink:

Eichborn Verlag


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