Von Leonhard Reul
Der Historiker Martin Krieger hat ein Buch über die Geschichte des Tees vorgelegt. Der Leser darf eine fundierte und engagierte Einführung in die Materie erwarten, denn Krieger ist in seinem Fach Asienexperte (vgl. auch seine „Geschichte Asiens“, 2003) und zudem selbst Teebauer in Indien. Insofern ist dieser Band keine weitere Teefibel, die uns diverse Sorten mit minimalen historischen (Anbau-) Rekurs vorstellt, sondern eine ernsthafte und umfassende Kulturgeschichte. Dies wird nach einigen Seiten Lektüre schnell klar und lässt negativen Ersteindrücken, die ein altbackenes Cover und ein sehr kurzes, wenig detailliert erscheinendes Inhaltsverzeichnis auslösen, kaum mehr Raum. Krieger weiß, worüber er schreibt, und er arbeitet systematisch, wissenschaftlich (vgl. das vorbildliche Register) und unter interessanten Gesichtspunkten. Krieger weiß zudem, dass eine Begrenzung Not tut und beschränkt sich in seiner kulturgeschichtlichen Darstellung auf die Teepflanze „Camellia sinensis“.
Diese Einschränkung muss dem Laien zunächst ein wenig erklärt werden, stellt für ihn doch die Differenzierung in Teearten wie Schwarz- oder Grüntee ein gängiges Verfahren dar. Krieger ist sich dieser Notwendigkeit bewusst und er erklärt im Kapitel „Was ist Tee?“ die zunächst auch unseren (teehändlerischen) Vorfahren unbekannte Tatsache, dass aus ein und derselben biologischen Pflanzenart diverse Teesorten entstehen können. Unterschiede - ob grün oder schwarz, kräftig oder mild unterliegen nachrangigen Faktoren wie Boden, Klima, Höhe, Erntezeit, Trocknungs- und Röstungsverfahren. All dies erklärt Krieger hinführend, um im folgenden Kapitel auf die Teekultur in Japan und vor allem in China eingehen zu können.
China hat als die Wiege des Teeanbaus, der Teekultur und des Teehandels mit all seinen Qualitätsklassifikationen zu gelten. Nach zunächst auf Eliten beschränkter Teekonsumkultur wird Tee in China zusehends Alltagsgetränk, bewahrt sich jedoch einen besonderen Status. Dieser zeigt sich in der so genannten Teezeremonie. Krieger zeigt dem Leser die inhaltliche Bedeutung dieser (quasi) spirituellen Handlung auf und macht auf den geistigen Mehrwert für die chinesischen Teetrinkenden aufmerksam.
Der Teehandel Chinas mit Europa ist Thema des nächsten Kapitels. Hier gelingt es dem Historiker gut die Handelsgeschichte mit diversen Implikationen darzustellen. Wie bezahlten die Europäer den chinesischen Tee? Warum wird somit der Teehandel Mitauslöser des Opiumkriegs? Wer kennt ferner die Auswirkungen verschieden organisierter nationaler europäischer Handelsgesellschaften? Wo hatte welcher Kolonieeigner Stützpunkte, welche Einfluss hat dies wiederum auf Handelswege? Aber auch die politische (kriegerische) Entwicklung in Europa und den jungen USA und ihre Auswirkungen auf den (stark schwankenden) Teehandel stellt Krieger dar. Ein bisschen mag sich der Leser vielleicht wundern, wie groß die Rolle des Tees vom Historiker eingeschätzt wird – spätestens der Bericht über die „Boston tea party“ macht aber für dieses Faktum sensibel. Teekonsum hat durch wirtschaftliches und politisches Kalkül schwerwiegende Auswirkungen – auch jenseits von Asien.
Die Veränderungen, die der Teehandel im europäischen Alltag mit sich brachte (so wurden manche Landstriche von Bier- zu Teekonsumregionen), stellt Krieger in einem eigenen Abschnitt vor. Die Ausführungen widmen sich unter anderem den damaligen Konsumenten, dem Vertrieb von Tee und repräsentativen Accessoires, den Debatten über den (gesundheitlichen) Nutzen und Nachteil des Getränks. Durch größere Importe wurde letztlich dem bislang dominierenden Kaffee eine ernstzunehmende Konkurrenz beigesellt und Tee auch für den Massenkonsum attraktiv.
Dieser erhöhte Absatzmarkt führte seinerseits zu verstärktem Interesse der Europäer an neuen Anbaugebieten außerhalb Chinas. Diverse Experimente in eigens dafür gegründeten botanischen Teegesellschaften zeugen von der Absicht der Kolonialmächte mit chinesischen oder ortsansässigen Teepflanzen eigene Plantagen in von ihnen kontrollierten Gebieten zu begründen. Vom Scheitern und Glücken dieser Versuche sowie der Lebens- und Arbeitsbedingungen vor Ort berichtet Krieger. Sein besonderes Interesse gilt hierbei Indien, die Erschließung der Gebiete Assam/Nilgiris stellt er ausführlich dar. Die Bedürfnisse britischer Teeplantageneigner nach Erholung vom subtropischen Klima führen schließlich zur Entdeckung und (auch teewirtschaftlicher) Erschließung inzwischen berühmter Bergregionen wie Darjeeling.
Ein beschließender Abschnitt widmet sich der „Globalisierung des Tees im 20. Jahrhundert“. Hier werden weitere Teeanbaugebiete sowie die führenden Teevertreiber in Europa vorgestellt, zudem wird der stete Preisverfall des Produkts erklärt und den Bemühungen der indischen Regierung, den Teekonsum im eigenen Land zu steigern Rechnung gezollt.
Fundierter Kenntnisgewinn über Herkunft und Handelsgeschichte eines beliebten Heißgetränks kann dem interessierten Leser schon jetzt in Aussicht gestellt werden. Sollten Kriegers Ausführungen manchmal etwas zu detailreich vorkommen und dadurch trotz durchgängig guter Lesbarkeit ihren Reiz verlieren, sei dem Leser verdeutlicht, dass der Historiker das Phänomen Tee (mit seiner umfassenden Geschichte) als solches gewürdigt und gleichsam Hinweise auf existente Teequalitäten gegeben und somit den potentiellen Endverbraucher weiter sensibilisiert hat.
Literaturangabe:
KRIEGER, MARTIN: Tee. Eine Kulturgeschichte. Böhlau Verlag, Köln / Weimar / Wien 2009. 228 S., 24,90 €.
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