Von Andreas Heiman
Die Diskussion um die Oder-Neiße-Grenze ist längst Geschichte. Nur noch Ewiggestrige fordern Pommern oder Schlesien zurück. Aber auch die brutalen Folgen von Flucht und Vertreibung für viele deutsche Familien erscheinen längst als ferne Vergangenheit. Theodor Buhl hat dagegen angeschrieben. Sein Roman „Winnetou August“ ist ein später Versuch, daran zu erinnern. Das Risiko ist groß, dabei in Revanchismus abzugleiten oder in Kitsch. Beides ist Buhl nicht passiert.
Das ist ihm hoch anzurechnen und macht sein Buch umso lesenswerter. Buhl blendet nicht aus, dass es die Deutschen waren, die den Krieg begonnen hatten. Und er beschreibt auch schreckliche Szenen ohne Pathos. Das gilt selbst dann, wenn es um Erlebnisse geht, die an die Grenze dessen gehen, was sich literarisch darstellen lässt: die Gewalt gegen die Zivilbevölkerung in den letzten Kriegsmonaten, willkürliche Tötungen, Vergewaltigungen oder die Bombardierung Dresdens mit Tausenden von Toten.
Buhls Roman ist autobiografisch: Der Autor ist 1936 im schlesischen Bunzlau geboren. Im Januar 1945 ist er mit seinen Eltern zunächst geflüchtet, hat dann im niederschlesischen Plagwitz unter polnisch-russischer Verwaltung gelebt und wurde im Sommer 1946 in einen Zug Richtung Westen verfrachtet. Sein literarisches Alter Ego ist Rudi Rachfahl, ein Kind, das im Krieg groß wird.
Der Titel „Winnetou August“ klingt fast zu harmlos für das Thema, nimmt aber Bezug auf zwei wesentliche Erfahrungen der Hauptfigur: Während der Flucht kommt Rudi an eine Reihe von Karl-May-Büchern und fängt an sie mit pubertärer Begeisterung zu verschlingen - bis ihm am Schluss klar wird, dass die heldenhaften Geschichten alle erfunden sind. August dagegen, Rudis Vater, ist ein realer Anti-Held: Alkoholiker ohne große Schulbildung, aber mit solidem Alltagswissen und ausgesprochen clever, rettet er die Familie durch eine Welt, in der Tod und Gewalt Alltag sind.
Literaturangabe:
BUHL, THEODOR: Winnetou August. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2010. 316 S.,19,95 €.
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