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Theodor Fontanes Roman „Effi Briest“ neu aufgelegt

Der Klassiker des poetischen Realismus

© Die Berliner Literaturkritik, 31.10.08

 

Sie schwingt auf ihrer Schaukel im träumerischen Duft der Freiheit. Unbedacht lebt sie in der Geborgenheit des elterlichen Idylls in Hohen-Cremmen. Das Haus mit „von wildem Wein umrankten Fenster[n]“ ist das Heim von Fontanes Effi Briest. Es ist die Zeit der Normen und Ordnung, in der Theodor Fontane den Klassiker des poetischen Realismus schrieb. Fast märchenhaft verklärt wirkt die sprachliche Ästhetik im gleichnamigen Roman, obgleich das Sujet keineswegs bloße Fiktion ist. Tatsächlich nahm Fontane eine wahre Begebenheit, die Lebensumstände der Elisabeth von Plotho, spätere Baronin von Ardenne, zum Anlass für seine literarische Konzeption. Dramaturgisch bedacht vermischte er bei der Komposition seines Romans Fiktion mit realem Hintergrund und schuf ein ergreifendes Panorama der Zeit.

Die Handlung setzt in dem provinziellen Ort Hohen-Cremmen im 19. Jahrhundert ein: Das muntere Mädchen Effi Briest, vom auktorialen Erzähler mit dem Attribut „Tochter der Luft“ versehen, ist mit ihren siebzehn Jahren die Allegorie der kindlichen Leichtigkeit. Im Bild des Schaukelns ist sie Teil der Luft; sie kennt keine Schwere, lebt jenseits von Prinzipien im kindlich-sorglosen Raum – bis zu dem Tag, an dem Geert von Innstetten, „ein Mann von Charakter, von Stellung und guten Sitten“, in ihr Leben tritt und bei den Eltern um ihre Hand anhält.

Mit der quasi Zwangsheirat aus Gründen der gesellschaftlichen Reputation beginnt der langsame, aber stetige Prozess der inneren Vereinsamung Effis. Im Kessiner Anwesen des Landrats von Innstetten findet Effi weder Glück noch Anschluss an das gesellschaftliche Leben. Eingezwängt von rigiden Standes- und Gesellschaftsgrundsätzen der Zeit verliert sie immer mehr von ihrem einstigen „Ausdruck kindlicher Heiterkeit“. Sie ist gefangen im Korsett einer Adelsfrau der Ständegesellschaft. Erst als sie den leidenschaftlich-emotionalen Major Crampas, einen Freund Innstettens, kennenlernt, sieht sie in der Flucht in die erotische Affäre mit dem „Damenmann“ einen Moment von Hoffnung, der jedoch existenzielle Folgen haben wird.

Denn nach der Geburt ihres Kindes und der Übersiedlung nach Berlin erfährt der indessen beförderte Ministerialrat Geert von Innstetten zwölf Jahre danach von der zutiefst kränkenden Hintergehung und fordert Crampas zu einem Duell. Die Ehre ist verletzt. Crampas stirbt und Effi wird sowohl von Innstetten als auch anfangs von ihren Eltern verstoßen. Zwar verbringt sie die letzten Jahre, welche von Krankheit und Zermürbung gezeichnet sind, schließlich doch noch im elterlichen Schutz in ihrem Heimatort. Doch der Tod ist schicksalhaft. Der innere Schmerz über eine Welt, welche den Liebesbegriff durch einen rigorosen Ehrenkodex ersetzt, scheint unüberwindbar. Der Versuch einer Entgrenzung unterliegt dem leidvollen Fatalismus der Zeit.

Fontanes Personen sind psychologisch vielschichtig konstruiert und entwerfen in ihren realistischen Charakterzügen das Gesellschaftsbild des 19. Jahrhunderts. Keine andere literarische Gattung hätte zur Inszenierung eines gescheiterten Emanzipationskampfes besser gepasst als der Roman. Denn ohne Zweifel brilliert der Roman durch seine sensible Sprachlandschaft, die der Erzähler Stück um Stück skizziert. Am Ende steht ein vollkommenes Werk der Weltliteratur, das wie kein anderes klarer und menschlicher die Gefangenschaft in der Normheiligkeit jener Ära widerspiegelt.

Dabei reicht die Wirkung des Buches weit über die Grenzen der Zeit hinaus, weil es dem Leser die grundsätzliche Problematik einer ideologischen Rigidität vor Augen führt. Werteanachronismus stellt nicht nur ein Stichwort der preußischen Kaiserzeit oder der 60er-Jahre der BRD dar, sondern erfährt vielmehr heutzutage eine neue Bedeutung, wenn es um Fragen der Interreligiosität oder der Rolle der Frau in der Gesellschaft geht. Nicht die „moralischen Vorträge“, die Innstetten täglich gegenüber Effi hält, sind die richtige Antwort. Denn letzten Endes muss selbst Innstetten erkennen, wie sehr „Katechismus und Moral“ einer unbarmherzigen, unpersönlichen Gesellschaft sogar ihn zum Apparat eines sinnentleerten Ehrbegriffs gemacht haben. Niemand ist hier frei, frei von Pflicht und Tugend. Verfehlte Dogmatik und Auseinandersetzung um Werte und Sitte sind das Sujet von Theodor Fontanes Meisterwerk. Entstanden ist ein Epos für Humanität und Freiheit.

Das Werk ist Gegenwart, ist bislang zeitloser Realismus. Gleichzeitig verwirklicht der Autor den literarischen Rahmen mit dem Augenmaß der Zeit. Sein Erzählstil weist nur selten einen kommentatorischen Gehalt auf, zeigt aber geschickt einen Kosmos zwischen innerer und äußerer Räumlichkeit auf, indem er Gefühle sichtbar macht und sie zur Natur, zum Umfeld, zum Äußeren in Verbindung setzt. So trist die Welt in Kessin sich gestaltet, so verloren ist Effi in Einsamkeit und hoffnungsloser Monotonie. Der Leser blickt hinein in das Interieur von Figur und epochaler Topographie.

In all der stilistischen Zartheit und Filigranität der Sprache Fontanes offenbart sich wahrlich ein Kenner seiner Zeit und ebenso ein Menschenfreund. Zwischen Aufbau und Zerstörung lässt Fontane Effi Briest ihre Lebenswelt in detailreicher Prosa erfahren. Mal sieht sie einen Lichtschimmer im Umzug nach Berlin und ein anderes Mal ist sie voller Furcht vor dem Kessiner Anwesen, in dem sie glaubt, vom Spuk auf dem Dachboden verfolgt zu sein. Ein Buch schwankender Emotionen. Ein Buch voller Spannung. Ein Buch voller menschlicher Tragik, an dessen Ende allerdings Sanftmütigkeit und Vergebung stehen. Denn Effi erweist sich gerade im Freispruch Innstettens von dessen Schuld als die wahre Heldin des Romans.

Obwohl das Werk entsprechend der Einordnung zwar dem poetischen Realismus zugehörig ist, greift es dennoch romantische Merkmale im ursprünglichen Sinne auf. Insbesondere die Sehnsucht Effis nach Hohen-Cremmen und der Ferne, die eben ein bloßes „weg“ von Kessin beschreibt, ist eine Eigenheit romantischer Verklärung. Todessehnsucht und Jenseitsorientierung zeichnen das Bild eines Mädchens, das eigentlich nie erwachsen werden wollte. Die liebsame Schönheit Effis verwelkt gleich einer weißen Rose. Unschuldig und bezaubernd sentimental.

Fontanes Heldin ergreift den Leser und zwingt ihm zum Mitleiden. Nicht zuletzt liegt die große Stärke seiner Erzählkunst vor allem in der Identifizierung des Mitfühlenden mit seiner Heldin Effi, die hofft, wünscht, liebt und die kurz vor ihrem Tod nichts mehr treibt als „Ruhe, Ruhe“.

Von Björn Hayer

Literaturangaben:
FONTANE, THEODOR: Effi Briest. Roman. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2008. 384 S., 5 €.

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