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Die imaginäre Rückkehr

Peter Fabjan vollzieht ein Gedankenexperiment zu seinem Halbbruder und Schriftsteller Thomas Bernhard

© Die Berliner Literaturkritik, 08.02.11

Von Irmgard Rieger

WIEN (BLK) - Kaum jemand kannte den Menschen Thomas wohl so gut wie Peter Fabjan, Halbbruder des Schriftstellers und sein Nachlassverwalter. Die Nachrichtenagentur dpa bat den 73-jährigen, der seinen Bruder auch als Arzt betreut hatte, zu einem kleinen Gedankenexperiment, das er per E-Mail beantwortete.

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Wenn Thomas Bernhard heute noch einmal für einen Tag zurückkehren könnte - was würde er tun, was würde ihm auffallen?

Fabjan: „Er würde sagen: Das ist alles schlimmer, als ich es vorhergesagt habe. Er würde Salzburg meiden, aber sein Haus in Ohlsdorf (Oberösterreich) gerne wieder sehen. Auffallen würde ihm der weitere Niedergang zivilisierten Umgangs miteinander in Politik, Öffentlichkeit und Bildungseinrichtungen.“

Wie würde er den Erfolg der „Neuen Rechten“ in Österreich beurteilen? Hielte er sie für weniger gefährlich als die Alt-Nazis?

Fabjan: „Er würde diesen Erfolg als logische Folge versäumter Aufklärung von verantwortlicher politischer Seite sehen. 'Nazi' war bei ihm kein politischer, vielmehr ein Begriff persönlicher intoleranter Haltung mit der Unfähigkeit zum Bekennen historischer Schuld.“

Wäre er als ehemaliger Internatsschüler schockiert angesichts des Missbrauchskandals in der katholischen Kirche?

Fabjan: „Er fühlte sich bestätigt im eigenen Erleben von Brutalität und Unfähigkeit durch Überforderung oder Sadismus im Umgang mit Schutzbefohlenen, absolut schockiert, wenn auch nicht überrascht vom sexuellen Missbrauch“.

Wie würde er reagieren - würde er in Wut und Furor zum Stift greifen und einen neuen „Heldenplatz“, eine neue „Auslöschung“ schreiben? Oder würde er sich zurücklehnen, altersmilde lächeln und im Café Bräunerhof eine Melange trinken?

Fabjan: „Nein, würde er weder noch. Erregung war immer sein Lebenselixier. Auch wenn er für sein Werk massiv angegriffen, bedroht, auch angeklagt wurde. Er hat sich einerseits in die Kunst geflüchtet, aber zum Schreiben hat er diese Erregung gebraucht.“


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