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Tod den Glaubensverrätern

Ein historischer Roman von Stephanie Parris

© Die Berliner Literaturkritik, 12.10.11

MÜNCHEN (BLK) – Im September 2011 ist im Limes Verlag der Roman „Ketzter“ von Stephanie Parris erschienen. Nina Bader hat diesen historischen Roman aus dem Amerikanischen übersetzt.

Klappentext: Giordano Bruno, als Ketzer auf der Flucht durch halb Europa, gerät in die erbarmungslosen Auseinandersetzungen zwischen englischer Staatsmacht und zu allem entschlossenen papsttreuen Fanatikern. Auf der Flucht vor der Inquisition kommt Giordano Bruno nach Oxford. An seinem ersten Morgen im Lincoln College wird er von einem wild bellenden Hund und den entsetzlichen Schmerzensschreien eines Mannes geweckt. Das Tier wurde auf das Opfer gehetzt, doch der Rektor schweigt. Als ein weiterer Geistlicher, der dem katholischen Glauben abgeschworen hatte, brutal ermordet wird, fürchtet Bruno, dass er der Nächste sein könnte, denn der Mörder scheint es auf Glaubensverräter abgesehen zu haben. Holt Bruno die Vergangenheit, vor der er geflohen ist, wieder ein? Und welche Rolle spielt dabei die geheimnisvolle Tochter des Rektors, die sich verdächtig für Alchemie interessiert und für die der Mönch verbotene Gefühle hegt? Der streitbare Freigeist Giordano Bruno begibt sich auf den gefährlichen schmalen Grat zwischen Glauben und Ketzerei.

Das Pseudonym Stephanie Parris verwendet die Journalistin Stephanie Merritt immer dann, wenn sie einen Roman veröffentlicht. Unter ihrem bürgerlichen Namen publizierte sie Literaturkritiken in so angesehenen Zeitungen wie Times, Daily Telegraph, New Statesman oder Die Welt. Derzeit schreibt sie für den Guardian und den Observer. Mit ihrem Sohn lebt sie in Südengland. Ihr zweiter Bruno-Roman, „Prophecy“, ist soeben in England erschienen.


Leseprobe:  

©Limes Verlag ©

Prolog

Kloster San Domenico Maggiore

Neapel

1576

Die Tür wurde mit einem Knall aufgestoßen, der im Gang widerhallte, und die Bodendielen erzitterten unter dem entschlossenen Stampfen mehrerer Fußpaare. In dem winzigen Abort, in dem ich auf einem Brett kauerte – so weit wie möglich von dem Loch entfernt, unter dem sich die Senkgrube befand – begann meine kleine Kerze in dem plötzlichen Luftzug zu flackern und ließ wabernde Schatten über die steinernen Wände tanzen. Allora, dachte ich, bevor ich den Kopf hob. Jetzt kamen sie mich also doch holen.

Die Schritte machten vor der Tür Halt. Im nächsten Moment hämmerte jemand wütend mit der Faust gegen das Holz, und die heisere Stimme des Abtes ertönte. Sein üblicher ruhiger,diplomatischer Tonfall war einem erregten Krächzen gewichen.

„Bruder Giordano! Ich befehle Euch, unverzüglich herauszukommen, und haltet das, was Ihr in den Händen habt, gut sichtbar vor Euch!"

Ich hörte einen der Mönche in seiner Begleitung leise kichern, gefolgt von einem missbilligenden Zungenschnalzen seitens unseres Abtes, Padre Domenico Vita, und musste trotz meiner misslichen Lage innerlich grinsen. Fra Vita war ein Mann, der unter normalen Umständen wirkte, als empfände er sämtliche menschlichen Körperfunktionen als persönliche Beleidigung. Es musste ihn beispiellose Überwindung kosten, einen seiner Mönche an einem derart unziemlichen Ort zur Rede zu stellen.

„Einen Moment bitte, Padre!", erwiderte ich, dabei löste ich die Kordel an der Kutte, damit es so aussähe, als hätte ich den Abtritt wirklich zu seinem eigentlichen Zweck benutzt. Dann betrachtete ich das Buch in meiner Hand. Flüchtig erwog ich, es irgendwo unter meiner Kutte zu verstecken, sah dann aber ein, dass das nichts bringen würde – man würde mich gründlich durchsuchen, sowie ich den Abtritt verlassen hätte.

„Keinen Moment mehr, Bruder", zischte der Abt durch die geschlossene Tür. Eine unterschwellige Drohung schlich sich in seine Stimme. „Ihr habt heute Abend mehr als zwei Stunden auf dem Abtritt verbracht. Ich denke, das reicht!"

„Ich muss etwas Verdorbenes gegessen haben, Padre", bekundete ich, bevor ich das Buch voller Bedauern in das Loch warf und dabei laut hustete, um das Platschen zu übertönen, mit dem es in die Grube fiel. Zu schade, es war eine besonders schöne Ausgabe gewesen.

Dann schob ich den Riegel zurück, öffnete die Tür und sah mich meinem Abt gegenüber. Seine unerbittlichen Gesichtszüge vibrierten fast vor aufgestautem Zorn, was noch durch den flackernden Schein der Fackeln unterstrichen wurde, die die vier hinter ihm stehenden und mich angewidert und fasziniert zugleich anstarrenden Mönche in die Höhe hielten.

„Rührt Euch nicht von der Stelle, Bruder Giordano", wies mich Vita an, dabei drohte er mir warnend mit dem Finger. „Für einen Fluchtversuch ist es zu spät."

Er stapfte in den Verschlag, rümpfte ob des Gestanks voller Ekel die Nase und leuchtete dann mit seiner Laterne in jede einzelne Ecke. Als er nichts Verdächtiges fand, wandte er sich an die Männer hinter ihm.

„Durchsucht ihn!", bellte er.

Die Ordensbrüder wechselten verwirrte Blicke, dann trat der verschlagene Toskaner Bruder Agostino da Montalcino mit einem unangenehmen Lächeln vor. Er hatte mich noch nie gemocht, aber seine Abneigung war in offene Feindseligkeit umgeschlagen, nachdem ich ihn vor einigen Monaten in einem Streitgespräch über die arianische Ketzerei ausgestochen hatte. Danach hatte er das Gerücht verbreitet, ich würde die Göttlichkeit Christi leugnen. Ohne Zweifel hatte er mir den Abt auf den Hals gehetzt.

„Verzeih mir, Bruder Giordano", murmelte er höhnisch, bevor er mich abzutasten begann. Seine Hände glitten erst über meine Taille und anschließend an meinen Schenkeln hinunter.

„Versuch bitte, nicht allzu viel Vergnügen daran zu finden", knurrte ich.

„Ich befolge nur die Befehle meines Superiors", versetzte er. Nachdem er mit der Durchsuchung fertig war, richtete er sich auf und sah Padre Vita sichtlich enttäuscht an. „In seiner Kutte hat er nichts versteckt, Padre."

Abt Vita trat einen Schritt auf mich zu und funkelte mich einen Moment lang wortlos an. Sein Gesicht war dem meinen so nah, dass ich die borstigen Haare auf seiner Nase zählen und den schalen Zwiebelgestank seines Atems riechen konnte.

„Die Sünde unseres Urvaters bestand in seinem Wunsch, sich verbotenes Wissen anzueignen." Er betonte jedes Wort sorgfältig und befeuchtete sich beim Sprechen mit der Zunge die Lippen. „Er glaubte, er könne Gott gleich werden. Und dieser Sünde macht Ihr Euch auch schuldig, Giordano Bruno. Ihr seid einer der begabtesten jungen Männer, mit denen ich während meiner Jahre in San Domenico Maggiore zu tun gehabt habe, doch Eure Neugier und Euer Stolz auf Eure Fähigkeiten halten Euch davon ab, Eure Gaben zum Ruhm der Kirche zu nutzen. Es ist an der Zeit, dass sich der Vater Inquisitor einmal mit Euch befasst."

„Nein, Padre, bitte – ich habe nichts Unrechtes getan", protestierte ich, als er sich zum Gehen wandte, doch in diesem Moment erklang hinter ihm Montalcinos Stimme.

„Hochwürdigster Vater Abt! Hier ist etwas, das Ihr Euch ansehen solltet!" Er hielt seine Fackel in das Loch des Abtritts. Ein Ausdruck boshafter Freude trat auf sein Gesicht.

Vita erbleichte, beugte sich aber vor, um zu sehen, was der Toskaner entdeckt hatte. Sichtlich zufrieden drehte er sich zu mir um.

„Bruder Giordano – kehrt in Eure Zelle zurück und erwartet dort meine weiteren Befehle. Diese Angelegenheit muss unverzüglich der Heiligen Inquisition gemeldet werden. Bruder Montalcino – holt das Buch aus dem Abtritt! Wir wollen uns mit eigenen Augen davon überzeugen, welche ketzerischen Werke unser Bruder hier mit einem Eifer studiert, den er meines Wissens der Heiligen Schrift noch nie gewidmet hat."

Montalcinos entsetzter Blick wanderte von mir zum Abt. Ich hatte lange genug auf dem Abtritt gehockt, um mich an den Gestank gewöhnt zu haben, aber bei der Vorstellung, die Hand in die Grube unter dem Holzbrett tauchen zu müssen, stieg Übelkeit in mir auf. Dennoch strahlte ich Montalcino an.

„Ich, Vater Abt?", fragte dieser mit sich überschlagender Stimme.

„Ja, Ihr, Bruder – und beeilt Euch gefälligst." Abt Vita zog seinen Umhang zum Schutz vor der kühlen Nachtluft enger um sich.

„Ich kann Euch die Mühe ersparen", warf ich ein. „Es sind nur Erasmus’ Kommentare. Sie enthalten keine schwarze Magie.“

„Die Werke von Erasmus stehen auf dem Index verbotener Bücher der Inquisition, wie Ihr sehr wohl wisst, Bruder Giordano ", entgegnete Vita grimmig. Wieder fixierte er mich mit einem emotionslosen Blick. „Aber wir werden ja sehen. Ihr habt uns lange genug zum Narren gehalten. Es ist an der Zeit, die Reinheit Eures Glaubens auf die Probe zu stellen. Bruder Battista! „Das galt einem der anderen Mönche mit Fackeln, der diensteifrig näher kam. „Schickt nach dem Vater Inquisitor!"

Ich hätte auf die Knie fallen und um Gnade flehen können, das wäre jedoch würdelos gewesen. Außerdem war Abt Vita ein Mann, der es liebte, wenn die Dinge ihren geregelten Gang gingen. Wenn er beschlossen hatte, mich der Inquisition auszuliefern – vielleicht als warnendes Beispiel für meine Mitbrüder –, dann würde er sich von diesem Kurs nicht abbringen lassen, sondern die Sache bis zum bitteren Ende ausfechten. Und ich fürchtete, ich wusste, was das hieße. Ich zog meine Kapuze über den Kopf und folgte dem Abt und seinen Begleitern aus der Latrine, wobei ich Montalcino, der die Ärmel seiner Kutte aufkrempelte und sich anschickte, meinen Erasmus aus der Grube zu fischen, einen letzten Blick zuwarf.

„Betrachte es von der positiven Seite, Bruder", feixte ich. „Meine Scheiße duftet wenigstens süßer als die aller anderen im Kloster."

Montalcino blickte auf. Sein Mund verzog sich vor Bitterkeit oder Ekel.

„Deine geistreichen Sprüche werden dir vergehen, wenn ein glühender Schürhaken in deinem Arsch steckt, Bruno", konterte er mit einem bedauerlichen Mangel an christlicher Nächstenliebe.

Draußen im Kreuzgang schlug mir die frische neapolitanische Nachtluft entgegen. Mein Atem bildete kleine Wölkchen vor meinem Mund, und ich atmete tief durch, dankbar dafür, diesem engen, stinkenden Ort der Erleichterung entronnen zu sein. Rings um mich herum ragten die mächtigen Steinmauern der Klostergebäude im Dunkeln auf; der Kreuzgang wurde von ihrem Schatten verschluckt. Links von mir erhob sich die Fassade der riesigen Basilika. Mit bleischweren Schritten ging ich auf die Unterkünfte der Mönche zu, dabei verrenkte ich mir den Hals, um die am Himmel funkelnden Sterne betrachten zu können. Die Kirche lehrte nach Aristoteles, dass die Sterne alle im gleichen Abstand zueinander in der achten Sphäre über der Erde ständen und gemeinsam in ihrer Umlaufbahn um sie herum kreisten, so wie die Sonne und die sieben Planeten in ihren jeweiligen Sphären. Daneben gab es Männer wie den Polen Kopernikus, der es wagte, sich das Universum anders vorzustellen – mit der Sonne als Mittelpunkt und einer sich in ihrer eigenen Umlaufbahn bewegenden Erde. Weiter war noch niemand gegangen, noch nicht einmal in seiner Fantasie – niemand außer mir, Giordano Bruno dem Nolaner, und diese geheime Theorie, kühner als alle, die jemals formuliert worden waren, war nur mir allein bekannt: dass das Universum keinen fixen Mittelpunkt hätte, sondern sich in die Unendlichkeit erstrecke, und dass jeder Stern in der samtschwarzen Dunkelheit über mir seine eigene, von eigenen unzähligen Welten umgebene Sonne wäre. Vielleicht betrachteten irgendwo dort oben Geschöpfe wie ich ebenfalls den Himmel und fragten sich, ob hinter den Grenzen ihres Wissens noch mehr existierte.

©Limes Verlag©


Literaturangabe:

PARRIS, STEPHANIE: Ketzer. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Nina Bader. Limes Verlag, München 2011. 512 S., 19,99 €.

Weblink:

Random House


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