Von Ulf Mauder
BISCHKEK (BLK) — Gut ein Jahr nach dem Tod des Schriftstellers Tschingis Aitmatow in Nürnberg tut sich seine zentralasiatische Heimat Kirgistan schwer mit dem Erbe. Zwar versprach die Regierung in Bischkek damals, den Nationalhelden und Brückenbauer zwischen Europa und Asien gebührend zu ehren. Doch kein Grabstein, kein Namenszug weist in der nationalen Gedenkstätte Ata Beit — in den ruhigen Bergen unweit der Hauptstadt — darauf hin, dass hier unter einem Hügel mit Blumen der weltweit bekannte Autor der Liebesgeschichte „Dshamilja“ ruht. Die Regierung des autoritären Präsidenten Kurmanbek Bakijew haderte zuletzt mit dem politisch oft unbequemen Schriftsteller.
„Es ist ein Trauerspiel“, sagt Aitmatows jüngster Sohn Eldar (25) bei einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa in Bischkek. Vor seinem Tod setzte Aitmatow, der im Juni 2008 an einer Lungenentzündung im Nürnberger Klinikum 79-jährig starb, den Junior als Alleinerben ein. „Seither kämpfen meine Schwester, meine Mutter und ich darum, das Andenken an ihn wachzuhalten.“ Hier, an der Manas-Universität, präsentiert der frühere Bankangestellte gerade die Internationale Aitmatow-Stiftung und gibt Fans sogar Autogramme.
Als Stiftungspräsident beklagt er, dass der Bau eines Aitmatow-Museums samt Archiv, aber auch die versprochene Umbenennung der Tschuj-Hauptstraße in Bischkek auf sich warten lassen. Zwar gebe es ein Grundstück für das Museum. Dennoch sind die Pläne in der von Korruption und Vetternwirtschaft geprägten Atmosphäre wohl nur schwer umzusetzen. Immer wieder mischten sich Behörden in den Architektenwettbewerb für das Museum oder auch die Ausschreibung für das Denkmal am Grab Aitmatows ein.
Für Eldar, der mit seinem auch als kirgisischer Botschafter beschäftigten Vater lange in den Beneluxstaaten lebte, ist der Wechsel von demokratischen Verhältnissen in die postkommunistische Welt der zerfallenen Sowjetunion nicht einfach. Zwar lobte Bakijew Aitmatow bei dessen Staatsbegräbnis im Vorjahr als „die Stimme Zentralasiens“. Bekannt ist aber auch, dass der jüngst mit Wahlfälschung im Amt bestätigte Bakijew mit dem Humanisten Aitmatow im Grunde über Kreuz lag.
Traditionell ist das Land zwischen dem liberaleren Norden, wo Aitmatows Geburtsort Scheker liegt, und dem konservativeren Süden, aus dem Präsident Bakijew stammt, zerrissen. „Unsere Führung erinnert heute eher an seit Jahrhunderten tote Figuren aus dem Süden“, sagt Aitmatows Sohn. Auch die Opposition des Landes beklagt einen immensen Kultur-, Werte- und Bildungsverfall in dem völlig verarmten Land.
Unterstützung für die Internationale Aitmatow-Stiftung kommt etwa aus der Schweiz. „Kirgistan ist ein kleines bergiges Land wie die Schweiz, wir finden es wichtig, dabei zu helfen, die Sprache und Vielfalt der Kulturen und Identitäten im Sinne Aitmatows zu bewahren“, sagt der örtliche Direktor der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Hanspeter Maag, in Bischkek. Maag, der Aitmatow selbst kannte, erinnert daran, dass der Autor von Büchern wie „Der weiße Dampfer“ und „Der Schneeleopard“ besonders auch bei den deutschsprachigen Lesern beliebt gewesen sei.
Eldar Aitmatow hofft, künftig auch aus Deutschland Hilfe zu bekommen. Geplant sind Interviews mit Zeitzeugen, damit eine umfassende Biografie über Aitmatow entstehen kann. Zudem will er in den nächsten Jahren den aus Brüssel überführten Nachlass sichten. „Da sind sicher noch einige Überraschungen und Veröffentlichungen unbekannter Arbeiten zu erwarten“, sagt er. Allerdings beklagt der Inhaber aller Autorenrechte, dass Aitmatows in 150 Sprachen übersetzte Standardwerke in vielen Ländern heute vielfach ohne Lizenzen als Raubkopien veröffentlicht würden.
Und dann ist da auch ein Streit in der Familie um das Erbe Aitmatows. „Es ist klar, dass jeder seinen Anteil haben will“, sagt Eldar. Schon heute sei aber klar, dass die Bewahrung des Andenkens an seinen Vater für ihn vor allem eins ist: eine „Lebensaufgabe“. (dpa/mül)