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Trauma der Entwurzelung

„PostelbergKindeskinder“ von Jenny Schon & Joachim Süss

© Die Berliner Literaturkritik, 20.06.11

SCHON, JENNY / SÜSS, JOACHIM: PostelbergKindeskinder. Träume und Trauma. Gerhard Hess Verlag/Edition Odertor, Bad Schussenried 2011. 138 S., mit S/W-Abb., 14, 80 €.

Von Anna Gerstlacher

Postelberg/Postoloprty ist ein Ort in Westböhmen, in der Nähe von Saaz, 60 Kilometer von Prag entfernt, in dem nach Kriegsende, im Mai und Juni 1945, von tschechischen Milizen Hunderte deutscher Zivilisten niedermetzelt wurden, darunter auch Kinder. Und Postelberg ist nur ein Ort von vielen, die jetzt nach und nach bekannt werden (s. a. den tschechischen Dokumentarfilm „Töten auf tschechisch“, der 2010 in Tschechien und Deutschland gezeigt wurde). Postelberg ist mittlerweile das Synonym für das Trauma der deutschstämmigen Böhmen, welche die Vertreibung überlebt haben, für die heute lebenden deutschen Kriegskinder und Kriegsenkel, welche die Angst ererbt haben.

Jenny Schon, Kriegskind, Jahrgang 1942, geboren in Trautenau/Böhmen, Sinologin, Autorin von Sachbüchern, hauptsächlich zu chinesischen Themen, von Romanen und Gedichtbänden, die großenteils Böhmen behandeln, hat aus ihren Aufzeichnungen ein „Tagebuch einer Ver-Rückten“ zusammengetragen, das den langsamen, immer intensiver werdenden Prozess ihrer Re-Traumatisierung aufzeichnet, die infolge des Besuchs in ihrer Geburtsheimat Riesengebirge nach der Samtenen Revolution zu wüten begann. In drei Erzählungen versucht sie eine „Reise ins Innere“.

Wer ihre Werke der letzten Jahre („Der Graben“, „Böhmische Polka - Ceska Polka“, „Die Sammlerin“, „Wie Männer mich lehrten die Bombe zu halten und ich sie fallen ließ“) kennt, weiß, dass Jenny Schon versucht, sich in Lyrik und Prosa dem Thema Trauma zu nähern, dem Trauma durch Krieg und Vertreibung, das bis in die heutigen Generationen wirkt. Sie hat es virtuos geschafft, sprachlich wie inhaltlich, dem Leser das Ausmaß der Zerstörung der kindlichen Seele, die Krieg und Vertreibung ausgelöst haben, mit literarischen Mitteln nahezubringen. In ihrem neuen Buch lässt sie den Leser jedoch an ihrer eigenen Realität teilhaben, daran, wie sie re-traumatisiert wurde.

Es ist spannend, noch mehr aus ihrem Leben zu erfahren. All die Windungen und Wirrungen, das Auf und Ab, das Hin und Her. Das Gewirr der Sprachen, der Dialekte, die Verschränkungen von unterschiedlichen Zeiten, Orten, Begebenheiten erfordern die ganze Aufmerksamkeit, die aber ihrer Biografie angemessen ist. Es ist anrührend, wie sie damit ihr Leben öffentlich macht. Da es aber einer guten Sache dient, dem Verstehen und damit dem Verhindern, ist das angebracht. Keine leichte Kost, wie es auch ihre literarischen Werke nicht sind, doch die Lektüre lohnt. Wahrscheinlich werden sich wieder nur wenige der Lektüre hingeben, denn unsere Zeit will Leichtes, Oberflächliches, Optimistisches. Keine Vergangenheit, keine Realität, sie lechzt nach Events, Talks, Lügen.

Es ist fast zum Ausbüxen mit diesen Ungerechtigkeiten, diesen Grausamkeiten, die uns allen zugefügt werden, die dann tabuisiert sich zum Trauma auswachsen. Es ist zu begrüßen, dass Jenny Schon und Joachim Süss sich dem stellen und dass sie Stein für Stein aufheben, grausame Geschichte entdecken - und trotzdem den Lebensmut nicht verloren haben. So wird es zum Mahnruf an die Nachgeborenen, die Betroffenen, die Nichtbetroffenen, keine Wiederholung zuzulassen. Die Gefühle, die Sicht auf die Welt werden geschärft.

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Joachim Süss, Kriegsenkel, Jahrgang 1961, geboren in Marburg/Lahn, Dr. theol., ist Autor sowie Herausgeber zahlreicher Veröffentlichungen zur Religionskultur und zur religiösen Erfahrung in der Gegenwart. Sein Vater überlebte 1945 das Lager Postelberg, Zwangsarbeit und den Abschub aus dem Sudetenland. Der Sohn Joachim Süss war zunächst dem Trauma seines Vaters gegenüber sprachlos, bis er entdeckte, dass er es als Erbe in der eigenen Seele trägt. Die Gedichte von Jenny Schon inspirierten ihn dazu, jene so schwer greifbare innere Terra incognita zu klären und damit verstehbar zu machen, in der noch immer Dämonen einer vergangenen Zeit merkbar sind. Was bedeutet es, als Kind von Vertriebenen zu leben? Joachim Süss ist es gelungen, in seinen Gedichten „Odsun“ (Abschub) eine eigene Sprache dafür zu finden.

Die Gedichte, sowohl die von Jenny Schon als auch die von Joachim Süss, ergänzen das Ganze gut. Sie bestätigen letztendlich die persönlichen Erfahrungen, bringen sie auf eine breitere Basis, verallgemeinern sie. Dem Buch ist ein Geleitwort der Präsidentin des Frauenverbandes im BdV e.V., Sibylle Dreher, vorangestellt, die mit ihrer Veranstaltungsreihe „Lange Schatten“ im Berliner Gropiusbau in den letzten Jahren ebenfalls Pionierarbeit auf diesem Gebiet geleistet hat. Die Fotos in dem Band „PostelbergKindeskinder“ zeigen überwiegend Motive aus Böhmen.

Weblink: Gerhard Hess Verlag


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