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Treffen der Giganten – „HipHop meets Academia“

Ein Sammelband untersucht „Globale Spuren eines lokalen Kulturphänomens“

Von: KAY ZIEGENBALG - © Die Berliner Literaturkritik, 29.02.08

 

Versuch einer Bestimmung: Was ist überhaupt Hip-Hop? Eine Versatzkultur. Das Moderne schlechthin. Und doch haftet daran die Verherrlichung von Gewalt, Lokalpatriotismus, Homophobie, Sexismus, Rassismus, Drogen und so ziemlich aller Schlechtigkeiten, die sich reimen lassen. Gleichzeitig aber steht Hip-Hop für die Freiheit eines jeden, sein kreatives Potenzial zu nutzen und sich in dieser speziellen (urbanen) Lebensform selbst zu befreien von den Hemmnissen der sozialen Herkunft. Hip-Hop verleiht Stimme.

Der Rapper Dendemann wusste es schon 1999: „Hip-Hop ist wie Pizza: auch schlecht noch recht beliebt.“ Dabei ist er undenkbar ohne rege Austauschbeziehungen mit anderen Erscheinungen seiner Art. Er gehört zu den buntesten Musikrichtungen der letzten Jahrzehnte. Die Raps werden unterlegt mit Jazz-Loops und Orchestersamples. Es tauchen berühmte Gitarrenriffs aus der Rockgeschichte auf und im Dunstkreis des englischen Warp-Labels formierte sich zur Jahrtausendwende eine mehr elektronisch ausgerichtete Spielart, die ihrerseits eine Aktualisierung der Anfänge darstellt, die den Elektro-Sound der 80er Jahre aufsog und die nun im Kontext von IDM steht.

Zudem verdingen sich zahlreiche Produzenten am bloßen Hip-Hop ohne Rap und liefern pure Beats bis zum Abwinken respektive zum Abnicken. Rap hat schließlich Anschluss an die Poetry-Slams gefunden und so kann sich im Gegenzug etwa der begnadete Saul Williams auf so manchem Plattenteller niederlassen. So durchlässig zeigt sich die Bewegung aber nicht in allen Belangen. Man tut sich nach wie vor schwer, Beatboxing als fünftes Element neben Rap, Turntablism, Graffiti und Breakdance zu akzeptieren. Dies ist wiederum nur ein oberflächliches Phänomen der anderen Seite des Hip-Hop: Von zentraler Bedeutung ist der Battle-Gedanke; der Wettbewerb, in dem sich Aktivisten aller Disziplinen stetig befinden.

Dieser Wettbewerb drückt sich leider auch in ganz unspaßigen Revierkämpfen aus, die ernste Konsequenzen nach sich ziehen. Dies zeigten die zwei bekanntesten Fälle: Tupac Shakur (1971–1996) und The Notorious B.I.G. (1972–1997) wurden innerhalb eines halben Jahres ermordet. Es ist also nicht erstaunlich, wenn auch bedauerlich, dass Abgrenzungspraktiken und rohe Manieren im Hip-Hop so viel mehr Aufmerksamkeit erregen als die eingangs beschriebene Offenheit der Szene. Mittlerweile ist auch deutscher Hip-Hop einer starken Problematisierung ausgesetzt. Dass an hiesigen Keilereien MTV und VIVA schuld sein sollen, wie es Bushido kürzlich ausgerechnet in der Vanity Fair verkündet hat, deutet Fragen an, die auch die Wissenschaft nicht kalt lassen. Denn Identität und Authentizität sind eng an Inszenierung gekoppelt.

An der TU-Chemnitz fand 2006 während des splash!-Festivals eine Tagung unter dem Titel „HipHop meets Academia“ statt. Sehr schmissig warb man damals mit einem betont jugendlichen Flyer. Und nun ist ein gleichnamiger Sammelband erschienen, der mit dem wenig sagenden Untertitel „Globale Spuren eines lokalen Kulturphänomens“ die dort getätigten Überlegungen weiterführen und systematisieren soll. Die Beiträge versuchen, zwischen den beiden Extremen aus obiger Pseudoeinleitung zu vermitteln; gehen kaum einer Ambivalenz aus dem Weg und bleiben größtenteils wertfrei.

Schon in der Einleitung ist von der Angst vor Fettnäpfchen zu lesen, von Zugangsproblemen, ja sogar von der Voraussetzung, dass Hip-Hop wohl irgendwem gehören müsse. (Murray Forman) Dieser jemand kann offenbar nicht die Wissenschaft sein. Deshalb hätte der Titel besser „Academia meets HipHop“ lauten sollen. „Knowledge, Wisdom, Understanding“ – soviel Verbindung existiert ja bereits – ist ein oft benutzter Sample in Rap-Tracks und er ist nur die Spitze des Eisbergs, den es um Sample-History, Hip-Hop-eigene Zitierstandards und die Kategorienlehre, um right, true, real, original usw. zu erkunden gilt. (Pelleter/Lepa)

Es sieht ganz so aus, als bestünde die wichtigste Aufgabe einer wissenschaftlichen Aufsatzsammlung zum Hip-Hop darin, seinen Begriff dingfest zu machen. Dass es noch immer nur um das schwarze CNN geht, dürfte obsolet sein. Auch wenn sich zum Beispiel in Kenia gerade das Prinzip Public Enemy zu wiederholen scheint. In den Slums in Dandaron/Nairobi entsteht eine prächtige Szene. Aus Frankreich hören wir, Hip-Hop wird zum Sprachrohr benachteiligter Immigranten. (Eva Kimminich)

Nicht erst mit dem Erfolg des US-amerikanischen Anticon-Labels ist aber die kultur- und sozialkritische Funktion des Hip-Hop auch (und endlich) Sache der Weißen, die sich auf anderen Wegen in als ebenso prekär empfundenen Verhältnissen wieder finden. Viel seriöser als der entschuldungsmasochistische Universitätsprofessor, der in „So High“ (2001), einer College-Komödie mit Redman und Method Man in den Hauptrollen, die beiden schwarzen Studenten leidenschaftlich zum Befreiungskampf ihrer schwarzen Brüder und Schwestern anfeuern will, ist denn auch Sole vom besagten Label, der konstatiert: „White man is the fucking devil. I wanted to be black at age 14. So when they say, I don’t respect the culture. Truth is I only rap cause I ain’t smart enough to write a book.“

Hier ist die Brücke zwischen ethnischer und sozialer Ausgrenzung geschlagen. Eine Brücke, die zu zerbrechen droht, wenn die lapidare Feststellung getroffen wird, dass die Mordrate unter schwarzen Jugendlichen in den USA am höchsten ist. Was soll uns diese Mitteilung denn eigentlich beibringen? Wo es möglich scheint, dass der Rassismus vielleicht einmal von der Erdoberfläche verschwinden könnte, da tritt die soziale Diskriminierung umso deutlicher hervor. Dann stehen die weißen Getto-Kids dafür, dass die Probleme gar nicht so oberflächlich sind, wie deren Symptome, die für medienrelevante Aufregung sorgen.

Dieser Verflechtung sind sich die Autoren glücklicherweise bewusst. Das unsägliche Spiel um Herkunft und Rasse ist ein facettenreicher und ambivalenter Kern des Hip-Hop und kann nicht mit pauschalen Urteilen behandelt werden. Hip-Hop ist also jene Kulturform, die die bürgerlichen Grundrechte in Anspruch nimmt, um sie dann teilweise verbal zu entkräften, indem neue Schranken durch vorurteilsbehaftetes Rudelverhalten proklamiert werden? Möglicherweise. Vor allem dann, wenn der Kunstcharakter des Hip-Hop verschwindet, wenn Kunst und Leben verschmelzen, wie bei Tupac und Biggie. Ausgerechnet damit ginge ein lang gehegter Traum der Avantgarden formal in Erfüllung.

In diesem Zusammenhang greift Inez H. Templeton in ihrem Beitrag über die Berliner Hip-Hop-Szene auf einen interessanten Hinweis Robert Walsers (nicht er) zurück. Dieser hatte mit Blick auf Ice Cubes „When will they shoot?“ nicht gefragt, ob wir mit Gewalt verherrlichender Musik leben könnten, sondern ob wir nicht viel weniger mit den sozialen Umständen leben können, die derlei Texte hervorbringen. Den vorschnellen Transfer von der Kunst zum Leben verhindert in solchen Fällen nur ein Kriterium, dass den Ernst der Texte – und nur die stehen ja in den moralischen Debatten im Vordergrund – bestimmbar machen soll.

Es handelt sich um Authentizität oder auch street-credibility aus der internen Sicht. Von außen herangetragen wird das Problem der Inszenierung, die Authentizität simulieren hilft. Vanilla Ice war hierfür ein Paradebeispiel. Nichts stimmte an seiner Gangsterbiografie. Ähnlich ist es in dem autobiografischen Film „8 Mile“ (2002), der auf der Grenze zwischen Schwarz und Weiß ein bisschen über Eminems Leben erzählen wollte. Hier demontiert der Protagonist den Battle-Opponenten mit dem Hinweis auf dessen soziale Herkunft. Dieser besucht – entgegen seinen lautstarken Behauptungen – eine feine Schule und heißt Clarance: ein Sklavenname.

Dass Eminem hier als Weißer die Bühnenidentität des schwarzen Gegners zerstört, führt nur scheinbar zurück zum Anfang: Nicht die feine Schule, nicht der Sklavenname, nicht die Tatsache, dass er kein Gangster ist, führt zum Ausschluss. Entscheidend ist tatsächlich die Authentizität; also hier die Glaubwürdigkeit. Dabei ist nicht von der Hand zu weisen, dass der lange Arm der Konzerne sich unübersehbar nach der rebellischen Musik ausstreckt und so zur Reproduktion gewisser Klischees beiträgt, die das „Emanzipationsinstrument“ auf ganz unauthentische Weise aufgreifen.

Den so genannten Mittelstandsrap aber einfach als Gegenteil von Gangsta- oder Migranten-Rap einzusortieren (Kleiner/Nieland) ist zwar aus der Perspektive des betreffenden Beitrags nachvollziehbar, übersieht aber, dass die Texte, die aus dem Wohlstand geboren werden, diesen zumeist kritisieren und sich mit Auswegen aus der Wachstumsideologie, aus dem Spießertum, der Ignoranz auseinandersetzen. Hier wären die Fanta4 in ihren besseren Zeiten, Blumentopf oder Kinderzimmer Productions zu nennen. Somit ist inhaltlich sicher Trennendes auszumachen, aber das kritische Bewusstsein beider Richtungen eint sie doch. Eben weil es grundlegend für den Hip-Hop ist.

Hier muss der Standpunkt des Analysten ebenfalls freigelegt werden, um dann herauszufinden, vor welcher Folie seine Einschätzungen eigentlich entstanden sind. Die Make-Money-Statements des Gangsta-Rap sind zwar moralisch bedenklich, in ihrer Genealogie aber völlig normal und spiegeln, wenn auch überspitzt formuliert, das, was der Kabarettist Wilfried Schmickler zuletzt als Kardinalstugenden der westlichen Zivilisation bezeichnete. Sie sind Befreiungsparolen aus Sicht jener Gruppen, die an dem teilhaben wollen, was um sie herum geschieht – Authentizität vorausgesetzt; so etwa bei Mobb Deeps „Peer Pressure“, wo die Umgebung zum Schuldtragenden gemacht wird.

So bleiben drei entscheidende Sachverhalte bestehen: Erstens ist man noch damit beschäftigt, sich Hip-Hop als Forschungsgegenstand anzueignen. Zweitens ist man damit befasst, diese Aneignung so zu gestalten, dass sie nicht zur Anmaßung wird. Drittens ist die Forschung zurzeit vor allem bestrebt, Hip-Hop als komplexes Phänomen zu begreifen und seine Langlebigkeit damit zu erklären, dass es sich keineswegs nur um eine weitere Subkultur, sondern „eine Ausformung eines allgemeinen soziokulturellen Wandels unter den Bedingungen einer globalen Vernetzung von postkolonialen, postindustriellen und kapitalistischen Gesellschaften“ (Bock/Meier/Süss) handelt.

Nicht nachvollziehbar ist dabei die Generalthese des abschließenden Aufsatzes, dass der Hip-Hop-Kultur in „kapitalistisch-(post-) industriellen Gesellschaften sozialutopisches Denken fremd“ sei, wo doch bis dahin jede erdenkliche Differenzierung von den Autoren bewältigt worden ist. Die umfangreichen Literaturverzeichnisse der Beiträge zeigen nun, dass sich was regt. Selbstredend kann hier nicht jeder Aspekt, den der Band beleuchtet, erwähnt werden. Hinzuweisen ist noch auf den Beitrag von Kimiko Leibnitz, die sich des Begriffs der „bitch“ annimmt und die wichtigsten Fakten liefert, die einer eindimensionalen Behandlung des Frauenbildes im Hip-Hop Abhilfe schaffen dürften.

Literaturangaben:
BOCK, KARIN / MEIER, STEFAN / SÜSS, GUNTER (Hrsg.): HipHop meets Academia. Globale Spuren eines lokalen Kulturphänomens. transcript Verlag, Bielefeld 2007. 280 S., 28,80 €.

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Kay Ziegenbalg arbeitet als freier Journalist und Buchkritiker für dieses Literatur-Magazin


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