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„Trio Infernal“ – oder „Wo keine Leiche ist, ist kein Verbrechen“

Deutsche Erstübersetzung des Romans von Solange Fasquelle

© Die Berliner Literaturkritik, 22.12.10

FASQUELLE, SOLANGE. Trio Infernal. Roman. Aus dem Französischen von Irène Kuhn und Ralf Stamm. Lilienfeld Verlag, Düsseldorf 2010. 192 S., 19,90 €.

Von Behrang Samsami

In Deutschland kennt man unter dem Titel „Trio Infernal“ die berühmte schwarze Komödie mit Michel Piccoli und Romy Schneider in den Hauptrollen: 1974 verfilmte Francis Girod (1944-2006) den auf authentischen Gegebenheiten beruhenden Fall des Mörders Georges-Alexandre Sarrejani (1878/9-1934) und erzielte damit einen großen Erfolg. Die Vorlage für Girods Drehbuch bildete der zwei Jahre zuvor erschienene gleichnamige Roman der 1933 geborenen französischen Schriftstellerin Solange Fasquelle, die damals mit der skandalträchtigen Umsetzung ihres Buches internationale Aufmerksamkeit auf sich zog.

So erfolgreich Girods Film auch in Deutschland war und noch heute ab und an im Fernsehen in den dritten Programmen läuft, Fasquelles Roman wurde dagegen auffälligerweise bisher nicht ins Deutsche übertragen. Erst dieses Jahr ist ihr Buch in einer Übersetzung von Irène Kuhn und Ralf Stamm auf dem deutschsprachigen Markt erschienen. Und die Lektüre des Romans macht schnell deutlich, dass das Buch seiner filmischen Umsetzung nicht nachsteht. Denn der Reichtum an Dialogen und die damit zusammenhängende plastische und wirklichkeitsnahe Zeichnung der Personen und Situationen lassen Fasquelles Werk auch für sich allein zu einem überzeugenden, dabei selbst stark mit filmischen Mitteln arbeitenden Roman werden.

Anhand von Originalberichten – so ist auf dem Rückklappentext zu lesen – hat die Autorin den wahren Fall des in den 1920er und 1930er Jahren zur Berühmtheit gelangten Betrügers und Mörders Sarrejani, genannt Sarret, und seiner deutschen Komplizinnen, der beiden Schwestern Philomene und Kathrin Schmidt, in einem 18 Kapitel umfassenden Roman rekonstruiert: Die aus kleinen Verhältnissen stammende Augsburgerin Philomene erfüllt sich nach dem Ersten Weltkrieg einen Traum: Es gelingt ihr, nach Frankreich ins mediterrane Marseille zu ziehen und dort Arbeit bei einer wohlhabenden Familie zu finden. Doch die Tätigkeit als Kindermädchen und die Beziehung zu ihrem schon älteren Liebhaber Villette befriedigen sie nicht vollends. Sie wünscht sich insgeheim, ihr Verhältnis mit ihrem älteren Liebhaber zu legalisieren, um dadurch auch die französische Staatsangehörigkeit zu erwerben: „Der Weltkrieg war erst seit vier Jahren vorbei, und der Besitz französischer Papiere war ausgesprochen ratsam, wenn man nicht Demütigungen oder Verdächtigungen ausgesetzt sein sollte.“

Vielleicht, sagt sie sich, könne ihr ein Anwalt helfen, an dessen Kanzleibüro sie einige Male vorbei gekommen und auf den sie dadurch aufmerksam geworden ist: Georges-Alexandre Sarrejani. Geboren im damals noch österreichischen Triest siedelt dieser im Alter von vier Jahren mit seiner griechischen Familie ebenfalls nach Marseille. Ehrgeizig, aber anfangs noch ohne jede Beziehung findet der junge Mann jedoch mit Hilfe von Bekannten bald Arbeit als Journalist. Allmählich schafft er es, Kontakte in der Stadt zu knüpfen und wechselt dann in den Handel. Er wird 1903 eingebürgert und legt seinen griechischen Namen, „der wenig vertrauenerweckend klang in einer Stadt, in der es von fremdländischen Gestalten wimmelte“, ab.

„Schon während der Schulzeit war ihm aufgefallen, daß er Vertrauen einflößte – ein Pfund, mit dem es zu wuchern galt.“ Doch bevor Sarret das tut, zieht er als französischer Soldat zusammen mit seinen Kameraden in den Krieg gegen die Mittelmächte. Er kämpft tapfer, wird ausgezeichnet und kehrt nach dem Sieg nach Marseille zurück. Nun wird es sein Bestreben, in der hiesigen Gesellschaft Karriere zu machen: Er studiert Jura und wird anschließend Rechtsbeistand. Doch der Wunsch nach politischen Ämtern und damit nach noch höherem sozialem Aufstieg verbunden mit seinem neuen, äußerst aufwendigen Lebensstil kosten Zeit und viel Geld. Da er allerdings gewillt ist, seine Ziele möglichst zügig zu erreichen und zugleich seinen hohen Standard zu wahren, sucht er neue Einkommensmöglichkeiten: „Unter allen ehrlichen und weniger ehrlichen Mitteln, die Sarret erwogen hatte, um sich rasch und ohne allzu große Mühe zu bereichern, schien schlußendlich das einfachste, lukrativste und ungefährlichste – auf seine Reputation legte er Wert – der Versicherungsbetrug zu sein.“

Als nun der Rechtsanwalt Philomene und ihre sieben Jahre jüngere Schwester Kathrin Schmidt, die nach dem Selbstmord ihres Vaters ebenfalls nach Südfrankreich umzieht, kennen lernt, glaubt er in ihnen die idealen, weil armen und leichtgläubigen Komplizinnen gefunden zu haben, mit denen er seine Betrügereien relativ einfach und problemlos durchführen könne. Beide Frauen möchten selbst so schnell wie möglich aus ihrer (Außenseiter-)Rolle als besitz- und statuslose Ausländerinnen aus dem besiegten Nachbarland herauskommen. Ihre Ambition, ebenfalls zu Wohlstand zu gelangen, die französische Staatsangehörigkeit zu erhalten und dadurch sozial aufzusteigen, lassen sie ihre moralischen Hemmungen alsbald verlieren: „Eines war sicher, die Begegnung mit Georges Sarret hatte sich in jeder Hinsicht als Gewinn erwiesen, war er doch dabei, ihr Leben zu verändern. Philomene befolgte die Ratschläge ihres Mentors blindlings, ihr fiel gar nicht erst ein, sie zu diskutieren. Er war so intelligent, so gerissen, er kannte das Geschäftsleben so viel besser als die zwei armen Frauen aus der deutschen Provinz!“

Solange Fasquelle macht bereits relativ früh in ihrem Roman klar, dass beide Frauen von Anfang an aus Gründen der Geldgier und der Sucht nach Luxus durchaus bewusst Sarrets illegalen und später dann auch mörderischen Plänen gefolgt seien. Im Verlauf von „Trio Infernal“ zeigt sie zudem auf, wie die Taten dieser Dreiergruppe schrittweise immer perfider und ausgeklügelter werden. So hilft Sarret den beiden Frauen zu Beginn noch, sich mit Franzosen zu verheiraten und die heiß ersehnten Pässe zu bekommen. Später müssen neue Gatten der zwei Schwestern sterben, damit das unersättliche Trio ihre Lebensversicherungen einstreichen kann. Den beiden Frauen kommen zwar zwischendurch Bedenken wegen ihrer Verbrechen. Sie haben auch nicht selten Angst vor ihrem für sie unheimlichen Komplizen. Doch genau dieses Gefühl sowie ihre ständige finanzielle Abhängigkeit (aufgrund ihrer ungeheuer hohen Ausgaben) von dem übermächtigen Anwalt führen sie schließlich immer wieder zu dem Advokaten zurück.

In diesem Zusammenhang, nämlich bei der Figurenzeichnung, weicht der Roman von seiner filmischen Umsetzung ab. Während bei Girod die drei Protagonisten – nicht zuletzt aufgrund ihrer Darsteller Michel Piccoli, Romy Schneider und Mascha Gonska – exaltiert, lasziv und mondän wirken, erscheinen Sarret, Philomene und Kathrin im Buch dagegen von ihrem Wesen her widersprüchlicher, ja zerrissener. Sie haben ihre fremde, kleinbürgerliche Herkunft und auch ihre berufliche Vergangenheit nach ihrem Aufstieg nicht vollends abstreifen können. Sicherlich auch aufgrund der Möglichkeit des Romans, stärker auf das Innenleben der drei Charaktere einzugehen, treten ihre Schwächen im Buch exakter zu Tage. Es gibt immer wieder kurze kritische Momente, in denen vor allem die Frauen sich unsicher, hilflos und – was nur allzu nachvollziehbar ist – mit den Geschehnissen überfordert fühlen.

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Doch schnell verscheuchen sie ihr schlechtes Gewissen und planen ihre nächsten (Versicherungs-)Betrügereien und Morde. Ein besonders grausamer Vorfall, der Sarret und seine beiden Handlangerinnen nach ihrer Überführung berüchtigt macht, ist die Ermordung und Beseitigung eines ihnen bekannten, in „wilder Ehe“ lebenden Paares durch die Verwendung von Schwefelsäure. Dadurch, dass sie versuchen, die beiden Getöteten, den ehemaligen Priester Chambon und seine Geliebte, die wohlhabende Noémie Ballandreaux, in einer Badewanne voller Säure gewissermaßen in Luft aufzulösen und deren Überreste anschließend im Garten eines angemieteten Hauses zu vergraben, gehen sie als „Trio infernal“ unrühmlich in die Kriminalgeschichte ein.

Bis es jedoch soweit ist, vergehen aber noch einige Jahre. Der Erfolg der Gruppe hält an, macht die drei aber allmählich leichtfertig und nachlässig. Sarrets Pläne werden verwegener, in ihren Ausmaßen größer und überfordern die beiden Schwestern mehr und mehr. Es ist indes Philomene, die bei ihrem bis dahin größten Coup die Hauptrolle spielen soll, aber böse Vorahnungen hat, dass das Ganze schief gehen wird. – Solange Fasquelle erzählt die Geschichte des „Trio Infernal“ schließlich bis zu ihrem Finale, an dem die große, von einer breiten Öffentlichkeit neugierig begleitete Gerichtsverhandlung steht, mit viel Beobachtungsgabe und einem Gespür für die präzise Darstellung der Geschehnisse inner- wie außerhalb der Figuren. Dicht geschrieben und temporeich, szenisch und filmisch wirkt die Erzählung über das Mördertrio auf den Leser – der so das Gefühl hat, stets alle im Roman geschilderten Personen und Geschehnisse hautnah mitzuerleben.


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