Von Edgar Neumann
STUTTGART/TÜBINGEN (BLK) - Kaum ein anderer Ausgrabungsort übt eine solche Faszination aus wie Troja in der Westtürkei. Mit seinem weltberühmten Epos „Ilias“ über den zehn Jahre währenden Trojanischen Krieg schuf der griechische Dichter Homer nicht nur die Grundlage für die europäische Literatur, sondern auch einen Mythos, dessen Kraft bis heute wirkt. Gemessen daran nimmt sich der wissenschaftliche Aufwand, der zur Erforschung des legendären Ortes mit seiner 4000- jährigen Siedlungsgeschichte betrieben wird, geradezu bescheiden aus. Hoch qualifizierte Forscher von Experten für verschiedene Epochen über Anthropologen bis zu Materialspezialisten hangeln sich mit knappen Mitteln von einer Grabungskampagne zur nächsten - und das an einem Ort, der seit 1998 Unesco-Weltkulturerbe ist.
Auch in diesem Jahr sollen die Ausgrabungen weitergehen. «Wir haben schon eine weitere Kampagne angemeldet», sagte der Grabungsleiter Prof. Ernst Pernicka der Deutschen Presse-Agentur dpa in Stuttgart. Der im Sommer 2008 im Südosten entdeckte Übergang über den spätbronzezeitlichen Verteidigungsgraben solle weiter freigelegt und ein aufgrund von Skelettfunden in der Nähe vermutete Gräberfeld gesucht werden. Im vergangenen Jahr hatten die Tübinger Archäologen überraschend ein Doppelgrab aus der Zeit zwischen 2000 und 1800 v. Chr. entdeckt.
Der Grabungsleiter hofft, für die weitere Arbeit in Troja neue Geldquellen zu erschließen, zumal die Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ausgelaufen ist. So würden Anträge für die Heidelberger Akademie der Wissenschaft vorbereitet, um weitere Grabungen und die Dokumentation der Funde zu finanzieren. Pernicka sieht auch das seit Jahren geplante Museum in Troja mit einer Forschungsstation auf gutem Weg.
Zwar sehen viele die aus zehn übereinanderliegenden Siedlungsschichten bestehende antike Stadt nahe den Dardanellen als weitgehend erforscht an. Das gilt aber allenfalls für die Burg. Ungeklärt und wissenschaftlich umstritten sind jedoch die Ausdehnung sowie die geopolitische und wirtschaftliche Bedeutung Trojas in der Bronzezeit. Wie viele Bewohner lebten hier zwischen 1700 und 1100 v.Chr.?
Pernicka und sein Vorgänger, der Tübinger Archäologe Manfred Korffmann, fanden in den vergangenen 21 Jahren schon viele Belege dafür, dass Troja in der Spätbronzezeit eine ausgedehnte Unterstadt aufwies. Deren bis zu 10.000 Einwohner wurden von einem weitläufigen und mächtigen Verteidigungsgraben geschützt. Pernicka will auch das Umland genauer erforschen. So wurden bei Grabungen an einem Siedlungshügel 20 Kilometer südlich von Troja zahlreiche Tongefäße aus der Bronzezeit gefunden. Da der Ort einmal an einer Meeresbucht lag, die mittlerweile verlandet ist, könnte hier der Hafen für den „Welthandel“ zu suchen sein.
Auch ranken sich noch viele Legenden um den „Schatz des Priamos“. Der umfangreiche Goldfund, den der deutsche Ausgräber Heinrich Schliemann 1873 in Troja entdeckte und nach Deutschland schmuggelte, lagert in Moskau. Dorthin hatten die sowjetischen Truppen am Ende des Zweiten Weltkrieges den antiken Schmuck und die zahlreichen Gefäße aus Gold gebracht. Pernicka, von Hause aus Experte für alte Materialien, würde das Gold gerne mit einem Laser untersuchen, um seine Zusammensetzung und damit seine Herkunft zu bestimmen. (dpa)