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Türkei in vielen Farben auf der Frankfurter Buchmesse

Die Frankfurter Buchmesse wird 60. Als Ehrengast ist die Türkei mit dabei

© Die Berliner Literaturkritik, 11.09.08

 

FRANKFURT AM MAIN (BLK) – Wie jedes Jahr im Herbst wird Frankfurt am Main zum Drehkreuz für Bücher und andere Medien rund ums Wort. Vom 15. bis 19. Oktober 2008 lockt die Frankfurter Buchmesse mit über 2.700 Veranstaltungen wieder Verleger, Autoren und Besucher aus aller Welt in ihre Hallen. 2008 ist ein Jubiläumsjahr. Die weltweit größte Buchmesse feiert ihren 60. Geburtstag. Ehrengast ist die Türkei. Und die stellt nicht nur ihre Literatur zur Schau.

Gastland Türkei

Unter dem Motto „Türkei – Faszinierend farbig“ („Turkey – in all its Colours“) sollen das historische Kulturerbe und die türkische Gegenwart in vielen Facetten zum Ausdruck kommen. Wie üblich geschieht das nicht nur auf der Buchmesse, sondern auch in anderen Städten und Regionen. Knapp 250 Veranstaltungen bilden ein umfassendes Messe- und Kulturprogramm aus Lesungen, Musik, Tanz, Theater, Kunstausstellungen und Workshops. Rund 350 Schriftsteller und Übersetzer sind mit von der Partie – vom Nobelpreisträger Orhan Pamuk bis hin zu jungen Literaten wie Elif Shafak, Sebnem Isigüzel oder Asli Erdogan.

Dabei werden auch politische Inhalte verhandelt, etwa in Diskussionen über die Themen „Türkei und Deutschland: Literatur und Integration“ oder „Modernisierung, Politik und Literatur der Türkei“. Verantwortlich für das Programm ist das Organisationskomitee, in dem das Ministerium für Kultur und Tourismus, türkische Verlegerverbände, Kulturschaffende, NGOs und andere Einrichtungen mitwirken.

Auch der Börsenverein des Deutschen Buchhandels verspricht sich wichtige Erkenntnisse vom Auftritt der Türkei in Frankfurt: „Wir sind uns sicher, dass etliche türkische Menschen, die in Deutschland leben, die Messe besuchen werden“, sagt Claudia Paul, die Leiterin für Presse und Information. „Davon erhoffen wir uns Kontakt zu türkischen Lesern, um auch Kenntnisse über deren Lesegewohnheiten zu gewinnen. Zurzeit wissen wir noch viel zu wenig in diesem Bereich.“

Türkische Literaten aus Europa

Mit dabei sind natürlich in Deutschland aufgewachsene Autoren aus türkischen Familien. Selim Özdogan und Feridun Zaimoglu zählen zu den bekannten Größen dieser Sparte. Zaimoglu liest am 19. Oktober ab 19 Uhr im Frankfurter Literaturhaus gemeinsam mit Elif Shafak auf der Veranstaltung „Wurzeln und Stimmen“. Beide eint, dass sie in Kulturkreisen fern ihres türkischen Familienhintergrundes aufgewachsen sind.

Zaimoglu ist wohl der populärste unter den in Deutschland lebenden Schriftstellern mit türkischen Wurzeln. Bereits in seinem ersten Lebensjahr kam er 1965 mit seinen Eltern in die Bundesrepublik, wo er in Berlin und München aufwuchs. Nach dem Abitur begann er, Kunst und Medizin zu studieren. Seit 1985 lebt er in Kiel. Längst hat er sich nicht nur als Literat, sondern auch als Bildender Künstler und Journalist einen Namen gemacht. Als solcher meldet er sich regelmäßig zu Wort, speziell in Debatten um Integration und das Verhältnis zwischen Christen und Moslems. 2006 nahm er als ein Vertreter der Zivilgesellschaft an der ersten Deutschen Islamkonferenz teil, deren Zusammensetzung er anschließend kritisierte.

Zaimoglus „Kanak Sprak“ brachte frischen Wind

Als Autor sorgte er 1995 mit seinem Romandebüt „Kanak Sprak – 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft“ für Furore. Inhalt: 24 halbfiktive Interviews mit Migranten am Rande der Gesellschaft, die zu Monologen verdichtet sind. Darin bemüht er sich vor allem um Authentizität, was sich in der grammatikalisch reduzierten, alltagsnahen Sprache der Protagonisten widerspiegelt: „ (...) wenn’s um’s abzocken geht, muß ja jeder sehen, wo er bleibt, illegal is nur auf die länge ‘n bißchen knechtmaloche, und wenn der gendarm dir auf den fersen ist, bist du pur zombie, weil du ja krumm bist und immer schön an der wand klebst, bevor der handel in die gänge kommt, und’s geschäft blüht und rankt bis zum großen bang. Die cashen dich, so sicher wie’n amen ist das, da kannst du die eier verwetten, daß du dich mit deiner scheiße ins olle aus kickst“ äußert sich der 29-jährige Akay.

Vom Bürgerschreck zum Kritiker-Liebling

Das Buch rund um die provokant gestellte Grundfrage „Wie lebt es sich als Kanake in Deutschland?“ beschert Zaimoglu den Ruf eines Bürgerschrecks im deutschen Literaturbetrieb. Seit er 2003 für seine Erzählung „Häute“ den Preis der Jury beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb bekommen hat, erfährt er eine breite Akzeptanz als deutschsprachiger Schriftsteller. Seitdem folgen auf seine Romane, Erzählungen, Theaterstücke und Drehbücher meist positive Kritiken, hin und wieder auch renommierte Preise. Zu seinen bekanntesten Romanen zählt neben „Leyla“ (2006) mit „Liebesbrand“ auch sein aktuellster, der in diesem Jahr erschienen ist und für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert wurde. Zaimoglu verarbeitet darin einen selbst erlebten Busunfall in der Türkei, bei dem er 2006 fast ums Leben gekommen wäre.

Seine Kollegin und Lese-Partnerin in Frankfurt, Elif Shafak, ist eine 37-jährige Diplomatentochter. Ihr Leben ist geprägt von Multikulti: Geboren in Straßburg, wuchs sie unter anderem in Madrid und Amman/Jordanien auf. Sie ist mit einem türkischen Journalisten verheiratet und wirkt mittlerweile als Assistant Professor an der Abteilung für Nahost-Studien der University of Arizona in Tucson. 1997 erschien in der Türkei ihr erster Roman „Pinhan“, für den sie im Jahr darauf den Mevlana-Preis erhielt, der für Werke vergeben wird, die sich mit islamischer Mystik befassen. Mit dem Nachfolger „Sehrin Aynalari“ (Spiegel der Stadt) gelang ihr 1999 der nationale Durchbruch. Dafür bekam sie den Preis des türkischen Schriftstellerverbandes.

Grenzen der Meinungsfreiheit für türkische Autoren und ihre Figuren

Ähnlich wie Orhan Pamuk bekam sie in der Türkei bereits Ärger mit der Justiz. Musste sich Pamuk 2005/06 wegen kritischer Äußerungen zu Massakern von Türken an Armeniern und der Kurdenpolitik seines Landes wegen „Verunglimpfung des Türkentums“ vor Gericht verantworten, bekam Shafak Probleme wegen ihres 2006 veröffentlichten Romans „Der Bastard von Istanbul“. Darin geht es unter anderem um die Vertreibung und Ermordung von Armeniern. Durch Äußerungen von Romanfiguren soll auch Shafak das Türkentum beleidigt haben. Eine Anklage, die nach wenigen Monaten aus Mangel an Beweisen fallen gelassen wurde.

Diskussionen darüber sollten auch auf der Buchmesse geführt werden. Hier präsentiert sich die türkische Literatur auf über 4.000 Quadratmetern. Rund hundert türkische Verlage und ihre Autoren erwarten die Besucher am Länderstand in der Halle 5.1. Ein Hauptaugenmerk der Präsentation liegt auf der Ausstellung „Die Reise der Schrift nach Anatolien“ im Forum Ebene 1. Hier geht es um die Entwicklung der Schrift und um die Erzählweisen türkischer Literatur. Darüber hinaus ist ein türkischer Markt der Kulturen mit einer Zeltlandschaft sowie mit Kunsthandwerk wie Ebru (Marmorieren).

Türkische Verlage und Autoren möchten die Aufmerksamkeit natürlich für neue Kontakte und mögliche Übersetzungen nutzen. Zur Förderung dieses Anliegens hat das türkische Ministerium für Kultur und Tourismus bereits 2005 das TEDA-Projekt (Projekt zur Förderung von Übersetzungen) ins Leben gerufen. Mit Erfolg: Vierzig Verlagshäuser hat TEDA unterstützt. Sie haben dafür gesorgt, dass seitdem über 470 Werke in dreißig Sprachen übersetzt worden sind. Davon wurden bereits 161 Bücher verlegt.

Erwartete Besucherströme

Was die Resonanz der Buchmesse betrifft, erwarten die Gastgeber von der Ausstellungs- und Messe GmbH ähnliche Ergebnisse wie im Vorjahr, so Nina Klein, die Leiterin der Presse und Unternehmenskommunikation. Im Vorjahr gab es 283.000 Gäste in fünf Tagen – darunter 183.000 Fachbesucher, die aus 127 Ländern kamen. Gerechnet wird wieder mit 7.500 Ausstellern aus über hundert Ländern, davon knapp 3.300 aus Deutschland.

Prominente deutschsprachige Autoren sind in diesem Jahr neben anderen Steffen Kopetzky, Ulrike Draesner und Franz Hohler. Neben Literatur, Hörbüchern, Übersetzungen und politischen Debatten hat wie gewohnt die Bildung einen hohen Stellenwert: Im ZEIT-Bildungsforum und auf Veranstaltungen der Frankfurt Book Fair Literacy Campaign (LitCam) werden bildungspolitische und pädagogische Fragen erörtert.

LitCam ist ist eine internationale Initiative, die sich mit Alphabetisierung, Grund- und Medienbildung auseinandersetzt. Mit dem Ziel, Menschen weltweit Bildung und so eine bessere Zukunft zu ermöglichen. In diesem Rahmen berichten Organisationen aus Burkina Faso, der Türkei, den USA und Deutschland von ihren Bildungsprojekten. Außerdem werden zahlreiche Workshops angeboten.

Börsenverein gegen Piraterie

Der Börsenverein erwartet überdies ein wachsendes Interesse und mehr Veranstaltungen zu elektronischen Medien. „Immer stärker in den Focus rückt hier für die Verlage deshalb auch das Thema Urheberrechte und Piraterie“, sagt Claudia Paul. Im Zuge vermehrter Digitalisierung wachse die Sorge, wie die Rechte der Autoren und Verlage auch in Zukunft gesichert werden können. „Leider gibt es seitens der Politik noch keine durchdachten Vorgaben für eine sinnvolle Stärkung des Schutzes schöpferischer Leistungen.“ Für die Buchmesse bedeute ein steigender Anteil an Digitalprodukten keineswegs die Abwendung vom Buch, sondern lediglich eine Erweiterung des Spektrums.

Künstler Anselm Kiefer erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels

Höhepunkte sind wie jedes Jahr die Verleihungen der Buchpreise. Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geht an Anselm Kiefer. Erstmals erkor die Jury vom Stiftungsrat des Börsenvereins einen Bildenden Künstler aus. Als solcher ist der 63-Jährige weltweit anerkannt. Die Jury lobt ihn in ihrer Begründung als Künstler, „der seine Zeit mit der störenden moralischen Botschaft vom Ruinösen und Vergänglichen konfrontiert“. Die Verleihung des mit 25.000 Euro dotierten Preises wird am 19.10. in der Paulskirche vorgenommen.

Interview mit Juergen Boos (47), dem Direktor der Frankfurter Buchmesse

BLK: Welche Erwartungen haben Sie an die diesjährige Frankfurter Buchmesse? Wo liegen die Besonderheiten?

Juergen Boos: Ich bin besonders gespannt auf den Auftritt des Ehrengastes Türkei. Auf die intellektuelle Hochspannung, die das Programm mit über 320 Autoren verspricht, darunter der Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk, aber auch deutsch-türkische Schriftsteller wie Feridun Zaimoðlu. Das Gesicht der Türkei wird in Hunderten von Veranstaltungen deutlich werden, von zeitgenössischem Ballett, moderner Kunst bis hin zu Musik im Geiste des türkischen Dichters und Mystikers Yunus Emre.

BLK: Welche Tendenzen sehen sie für die Buchbranche?

Juergen Boos: Auf der brancheninternen Ebene herrscht ebenfalls Hochspannung: Deutlich spürbar ist, dass die virtuellen Lesewelten jetzt zum Greifen nah sind. Elektronische Bücher, kurz E-Books, fassen in der Verlagsszene Fuß. Mit neuen Lesegeräten in den USA ist dort auch ein Boom für Romane in elektronischer Form eingetreten. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Boom auch Deutschland erreicht. Die Branche reagiert schon jetzt darauf, viele Publikumsverlage bieten ein eigenes Programm für E-Books an. Auf der Buchmesse wird sich dieser Trend in einer Vielzahl von Veranstaltungen spiegeln.

BLK: Erwarten Sie ähnliche Zahlen wie 2008 in punkto Besucher, Aussteller und Fläche? Nach unseren Informationen ist die Kapazität im Vorjahr mit sechs ausgebuchten Hallen an ihre Grenzen gestoßen.

Juergen Boos: Es ist noch zu früh, um über die tatsächlichen Zahlen zu spekulieren. Wir erwarten aber einen Andrang ähnlich wie im vergangenen Jahr mit über 7.400 Ausstellern aus 109 Ländern und einer Besucherzahl von über 280.000. Besonders freut mich, dass das Herzstück unserer Messe wächst, das Literary Agents & Scouts Centre.

BLK: Im Vorjahr wurde zum Beispiel im Forum Dialog auch über die Menschenrechte diskutiert. Wird es in diesem Jahr Debatten über die aktuelle Situation in China geben? Oder ist in diesem Fall eher Zurückhaltung geboten, da China 2009 das Gastland sein wird?

Juergen Boos: Wir brauchen einen offenen und kritischen Dialog mehr denn je – und wir glauben, in Frankfurt einen solchen Dialog ermöglichen zu können, da wir eine liberale Plattform bieten. Uns geht es darum, einen vertieften Blick jenseits der politischen Fronten zu ermöglichen und Menschen mit ganz unterschiedlichen politischen und religiösen Hintergründen miteinander ins Gespräch zu bringen. Schon dieses Jahr sind viele Aussteller aus China auf der Messe, aber auch aus Taiwan und aus Hongkong. Allein dadurch ist eine Vielfalt der Stimmen garantiert.

BLK: Wie verhält sich China offiziell in Bezug auf die Frankfurter Buchmesse?

Juergen Boos: China präsentiert sich schon in diesem Jahr mit einer Reihe von Veranstaltungen auf der Buchmesse. Das Milliardenreich ist sich dessen voll bewusst, dass es nächstes Jahr im Scheinwerferlicht der Medien stehen wird – und dass diese gesteigerte Aufmerksamkeit schon jetzt im Oktober zu spüren sein wird. Die Literatur, ja Medien allgemein haben immer eine politische Dimension. Das zeigt sich besonders in der Verlagsstruktur eines Landes. Im chinesischen Verlagswesen ist derzeit ein Umbruch zu beobachten, der von einer Öffnung zeugt: die unabhängigen privaten Verlage gewinnen eine immer stärkere Position gegenüber den Staatsverlagen. Im Forum Dialog findet dazu auch eine Veranstaltung statt. (Anm. d. Red.: Mittwoch, 15.10.2008, 10.15-11.15 Uhr, „Today & Tomorrow: Independent Publishing in China Presentation and discussion“).

BLK: Wo liegen die Schwerpunkte im Bereich Bildung?

Juergen Boos: Die Fähigkeit, zu lesen, und mit Medien umzugehen, unterstützen wir seit 2006 in unserer so genannten Literacy Campaign. Dabei geht es nicht nur darum, die Basis des Buchhandels zu kräftigen, indem wir künftige Leser im Blick haben. Die Fähigkeit, mit Medien umzugehen, ist heutzutage unverzichtbar, um sich in der modernen Welt überhaupt zurechtzufinden, um nicht nur beruflich, sondern auch politisch seine Rechte einfordern zu können. Dieses Jahr werden sich am Messe-Dienstag in einer internationalen Konferenz Organisationen aus Burkina Faso, der Türkei und den USA zum Thema Alphabetisierung austauschen, das Motto dabei wird „Literacy and Integration“ sein. In Veranstaltungsplattformen wie dem ZEIT-Bildungsforum oder dem Kongress „Lebenslanges Lernen“ am 17. und 18. Oktober wird es außerdem eine Fülle von Veranstaltungen rund um das Thema Bildung geben.

BLK: Gibt es eine Veranstaltung, die Sie Messe-Besuchern dringend empfehlen möchten?

Juergen Boos: Wir werden über 2.700 Veranstaltungen auf der Messe und in ihrem Umfeld haben – da sind glaube ich die Geschmäcker zu verschieden, um gesondert auf eine hinzuweisen. Ich persönlich bin am meisten gespannt auf den Gewinner des Deutschen Buchpreises, der am Montag vor der Messe bekannt gegeben wird und in zahlreichen Veranstaltungen auf der Messe zu treffen sein wird.

Das Gespräch mit Juergen Boos führte BLK-Reporter Lutz Steinbrück.

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