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Türkei setzt auf „Vielfalt“ auf Buchmesse – Minderheiten dabei

Allein 300 Schriftsteller sollen neben mehreren hundert Künstlern

© Die Berliner Literaturkritik, 09.06.08

 

Von Thomas Maier

ISTANBUL (BLK) – Während in der Türkei derzeit ein Kulturkampf um das Kopftuchverbot an den Universitäten tobt, richten die Schriftsteller und Verleger des Landes den Blick auf die Frankfurter Buchmesse. Vom 15. bis 19. Oktober will sich auf der weltgrößten Bücherschau das diesjährige Gastland in seiner ganzen Pluralität darstellen – als in die Europäische Union (EU) strebende Kulturnation. „Sie werden sich wundern, wie vielfältig unsere Kultur und Literatur ist“, sagte der türkische Kulturminister Ertugrul Günay beim Treffen mit deutschen Journalisten am Wochenende (7./8. Juni 2008) in Istanbul. Allein 300 Schriftsteller sollen neben mehreren hundert Künstlern nach Deutschland kommen. Minderheiten wie die Armenier oder die Kurden seien vertreten, versichert Günay. Die genaue Liste soll am Donnerstag (12. Juni 2008) in Frankfurt vorgestellt werden.

Der breitgefächerte Auftritt auf der Buchmesse als einer weltweit beachteten Kulturbühne ist vor allem ein Verdienst der türkischen Verleger- und Autorenverbände aller politischer Schattierungen, die sich nach anfänglichem Dissens geräuschlos geeinigt haben. „Alle haben begriffen, dass dies für die Türkei eine große Chance ist“, sagt Müge Gürsoy Sökmen, eine links-feministische Verlegerin aus Istanbul, die Co-Vorsitzende des Organisationskomitees für den Buchmessen-Auftritt ist. In ihrem Verlag erscheinen auch die Bücher von Elif Shafak („Der Bastard von Istanbul“), die zusammen mit dem Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk zu den international bekanntesten Autoren des Landes zählt.

Shafak, die noch vor zwei Jahren nach dem – inzwischen reformierten – Paragrafen 301 des Strafgesetzbuchs wegen „Verunglimpfung des Türkentums“ angeklagt wurde, ist nun zum „literarischen Gesicht“ des Gastland-Auftritts geworden. „Die Türkei ist ein sehr komplexes Land, das man über die Literatur besser verstehen kann“, sagt die 37 Jahre alte Diplomatentochter, die auf Englisch und Türkisch schreibt. Rund 1700 Verlage mit einem Umsatz von rund 600 Millionen Euro gibt es derzeit in der Türkei. „Die Kulturszene ist aufregend“, meint die Journalistin Dilek Zaptcioglu, die für namhafte deutsche Medien schreibt.

Derzeit steht auf der türkischen Bestseller-Liste neben den beliebten Thrillern und populär-historischen Büchern über das Osmanische Reich der Autor Murathan Mungan an der Spitze. Der experimentierfreudige Schriftsteller hat über Frauen in Anatolien geschrieben. Mungan, der sich offen als Schwuler bekennt, versteht sich ausdrücklich als „Sprachrohr der Minderheiten“. „Nicht der Islam ist das Problem, sondern der Nationalismus“, sagt Mungan zur derzeitig schwierigen Situation in seinem Land. Sein neues Buch hat sich bereits 50.000 Mal in der Türkei verkauft, auf Deutsch erscheint zur Buchmesse sein Roman „Tschador“.

Die Widersprüche in der Türkei scheinen aus deutscher Sicht tatsächlich irritierend: Da ist die Regierungspartei AKP, die die Türkei demokratisieren und in die EU führen will. Die Buchmesse wird dabei als wichtiger Baustein gesehen. Zugleich ist das Land unter der AKP islamischer und politisch-konservativer geworden. Dies wird von der kemalistischen Opposition bekämpft, die sich als alleiniger Erbe von Republikgründer Atatürk sieht.

Der türkisch-jüdische Schriftsteller Mario Levi sieht in diesem Konflikt die EU in der Pflicht. „Wenn uns Europa zurückweist, werden hier die Ultranationalisten gestärkt“, sagt Levi, dessen großes Epos über das jüdische Leben am Bosporus im 20. Jahrhundert („Istanbul war ein Märchen“) ebenfalls auf Deutsch im Herbst herauskommt.

Für Diskussionsstoff auf der Buchmesse im Oktober ist auf alle Fälle gesorgt. Schon jetzt ist das Interesse groß. „Wir können uns vor Anfragen kaum retten“, sagt Buchmessen-Sprecher Thomas Minkus. Eine weitere Facette zum Türkei-Auftritt werden die Autoren beisteuern, die aus der Türkei stammen und inzwischen in Deutschland leben.


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