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Über die Schärfe in Liebe und Politik!

Rolf Hochhuths Lyrikband „Vorbeugehaft“

© Die Berliner Literaturkritik, 08.01.09

 

An Mut und Offenheit hat es ihm wahrlich noch nie gefehlt. Auch in seinem neusten Gedichtband mit dem hochpolitischen Titel „Vorbeugehaft“ scheut er nicht das klare Wort. Im Gegenteil: Unverblümt nimmt Hochhuth seine Bürde als moralischer Dichter wahr und ruft zum Widerstand gegen Willkürkapitalismus, Profitgier, Verarmung und nicht zuletzt die „Herrenkaste-Banditen“, für ihn polemisch die Multimilliardäre und Bankenbosse, auf. Insbesondere in seinem Gedicht „Mut“ fordert er eindeutig und direkt, „modewidrig auch […] Achselhaar“ zu zeigen; sich gegen den Strom der Zeit zu wenden, ist sein Ansinnen.

Obwohl er das Gedicht gebraucht, nutzt er die gebundene Sprache aber im Grunde genommen nur als Plattform für sein eigentliches Ziel: Reflexion. Gedankenspiele in bislang geistlosen Räumen, reden, worüber zu viele nur schweigen. L`art pour l´art ist bei Hochhuth keine Kategorie. Vielmehr sind gesellschaftlich-politische Abgründe, die er der Versenkung entreißt und teils zynisch-satirisch an die Oberfläche heraufbeschwört, das sinnstiftende Momentum seiner elanvollen Worte. Aufrütteln will er die Menschen, indem er mit schmerzhaftester Schärfe entlarvt, was sich nur allzu gern versteckt. Moralischer Verfall unter dem Deckmantel von Euphemismen und Schönfärberei entpuppen sich bei kritischer Betrachtung als gefährliche Bedrohung. Was hinter der „Vorbeugehaft“ brodelt, ist das „Subversive“. Mit nahezu hedonistischer Hingabe zur Provokation stellt Hochhuth im gleichnamigen Titelgedicht heraus, dass für ihn kein Unterschied zwischen dem Wortgebrauch der Nazikreation „Schutzhaft“ und der wohlklingenden Färbung „Vorbeugehaft“ besteht. Er konstatiert: „Natürlich weiß Schäuble: Die Verfassungen brechen – nur Verbrecher“, offenbart der Dichter seine große Liebe zur Ironie. Literatur als Engagement, das Gedicht als Kommunikationsforum zwischen den Seelen der Menschen: - So versteht Rolf Hochhuth das Schreiben.

Um zu enttabuisieren, muss er da stochern, wo andere wegsehen und darf den scharfzüngigen Vergleich nicht scheuen. Dabei ist er immer nah am Menschen. An kaum einer Stelle wirkt seine Dichtung abgedroschen oder schwerfällig. Nur in der Verständlichkeit und Prägnanz der Alltagssprache vermag er gekonnt die Überspitzung zu setzen. Nur wenigen Dichtern gelingt es, sich von der postmodernen Gleichförmigkeit und Entindividualisierung loszulösen. Hochhuths Auflehnung und Selbstsicherheit könnte ein neuer Leuchtturm in solch orientierungsloser Zeit sein. Nach den Jahren der Entsagung von allem Moralischen in der Literatur verspricht diese Lektüre eine bewusste Neupositionierung zu Moral und Wertediskurs, womit natürlich ebenso ein neues Rollenverständnis des Schriftstellers als moralische Integrität in der Gesellschaft einhergeht. Denn jene resignierte Feststellung Hochhuths, „doch zahnlos-zahm der Mittelstand / kämpft nicht; steht –fataler Verzicht- /längst schon selber an der Wand“, ruft nach revolutionärem Neuanfang. Hochhuth klagt mit aller Deutlichkeit und nie in Distanz zum Wesentlichen: Er zielt in das Zentrum, das er von Innen verändern möchte. Der Moral gegenüber Gleichgültigkeit und Stumpfsinn gilt sein Credo!

Jedoch wäre es zu kurz gegriffen, würde man diesen Gedichtsband als reines Politikum hinnehmen. Zwischen Entrümpelung gesellschaftlicher Hinterzimmer und obszön-entwürdigender Gegenwart von Spaßkultur bis Hartz IV, zwischen Übertreibung und radikaler Vehemenz zeigt sich noch ein anderer, ja fast sanfter Hochhuth, der jenseits seines Pessimismus, auch einen spielerisch-verzückten Blick auf die Liebe und das Leben selbst richtet. Er schreibt über das historische Paris, „Söhne und Väter“, sowie erotische Sehnsucht. Selbstbewusst entwirft er dabei eine eigene Romantik der Erotischen, das an der Grenze zum Hinfälligen das Schöne entdeckt. „Riechst wie Jasmin / - nach Sommerregen, / über meinem Gesicht auf den Knien. / Dein Kopf – bewegen / uns  kaum – zwischen meinen. / Er in deinem Mund. / Meine Lippen unter deinen / verwüsten dich – Liebe profund.“ wirken wie verzückendste Verse jugendlicher Passion. Obgleich fragmentarisch der rigiden Gedichtsordnung enthoben, malt Hochhuth humorvoll und reizend den sexuellen Akt als Landschaft unserer Wünsche und ärgsten Verdrängungen. Hinter dem Schriftsteller steht kein alter Besserwisser; die Lebendigkeit seiner lakonischen Satzbauten demonstrieren dem Leser einen jungen, freiheitssuchenden Kämpfer; voll Tatendrang und Liebesbegehren. Nichts ist scheinhaft, jedes Wort ist ein Versprechen zur Ehrlichkeit selbst. Das Lyrische Ich ist eins mit dem Autor. Seine Sätze strotzen vor Vitalität und höchster Konventionslosigkeit.

Wenn Hochhuth Verse niederschreibt, entstehen Appelle der Freiheit. Sogar das Gedicht an sich ist Freiheit pur, weil er vielmehr redet als reimt. Enjambements verlieren sich in Satzfragmenten. Ordnung wird zur bewusst verlangten Dekonstruktion. Und trotzdem bilden all die Paradoxien in ihrer Bandbreite von „Pendlerpauschale“, Flaschenpfand bis hin zu „Pen und Penis“ ein stimmiges Ganzes, in dem sich Gegensätze aufheben. Das Profane verbindet sich mit dem Philosophischen. Auf transzendenter Höhe blickt ein weiser Mann mal kritisch, mal süffisant auf das Weltgeschehen seiner Zeit und der Geschichte und liefert ein mutiges, unpathetisches Panorama unseres Daseins. Wer Hochhuths Buch verstehen möchte, darf sich nicht in der Vereinzelung oder den krassen Unterschieden zwischen den Gedichten verlieren. Die Gesamtheit ist gemeint. Die Liebe zum Leben und der Erotik und der zornige Pessimismus, den er der heutigen Welt gegenüber bezieht, sind zwei Seiten der gleichen Medaille, die sich bedingen und zueinander gehören. Insofern passt das Buch in kaum eine Kategorie, weil es selber neue Maßstäbe zu setzen vermag. Denn gerade seine Dialektik und Vielschichtigkeit verleihen ihm die Einzigartigkeit.

Von Björn Hayer

Literaturangaben:
Rolf Hochhuth: Vorbeugehaft. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2008. 200 S., 16,90 €.

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