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Ulrich Bechers Murmeljagd

Eine Antikriminalgeschichte in einer kriminellen Epoche

© Die Berliner Literaturkritik, 16.11.09

FRANKFURT/MAIN (BLK) – „Murmeljagd“ ist erstmalig 1969 im Rowohlt Verlag erschienen. Anlässlich des 40-igsten Jahrestages hat der Schöffling Verlag den Roman von Ulrich Becher wieder neu aufgelegt und im September 2009 herausgebracht.

Klappentext: Albert Trebla, Wiener Journalist und im Ersten Weltkrieg Jagdflieger, flieht im Frühjahr 1938 mit seiner Frau aus dem von deutschen Truppen besetzten Österreich auf Umwegen ins Engadin. Aber für den Verfolgten gibt es in der vermeintlich freien Schweizer Bergwelt keine Zuflucht. Trebla fühlt sich durch eine Serie rätselhafter Todesfälle bedroht und immer mehr in die Enge getrieben. Wie ein Murmeltier versucht er, in Deckung zu gehen, aber wo er auch hinkommt, wird er in äußerst merkwürdige Geschichten verstrickt.

Ulrich Becher wurde 1910 in Berlin geboren und begann dort sein Jurastudium. Dank seines grafischen Talents wurde er von Georg Grosz als dessen einziger Meisterschüler aufgenommen. 1932 erschien Bechers Debüt „Männer machen Fehler“, das 1933 von den Nationalsozialisten als sogenannte entartete Literatur verbrannt wurde. Becher verließ daraufhin Deutschland, lebte in verschiedenen europäischen Städten und floh 1941 weiter nach Brasilien. Er siedelte 1944 nach New York über und kehrte 1948 nach Europa zurück, zunächst nach Wien, 1954 nach Basel, wo Becher 1990 starb. (kum/ros)

Leseprobe:

©Schöffling & Co.©

“Pardon ... Herr Doktor de Colana?”

„Grrunngg-gungg-hä?“ Ein verschleimtes Gurgeln. Sein Glotzblick irrte von der Decke, blieb blöd auf mir haften.

„Entschuldigen Sie höflichst die Störung, Herr Doktor. Ich komm nämlich als – hmja – als Interessent.“

„Uäh ... ääh ... uah ...“ Ein gestöhntes Gähnen. Die entzündeten Lider fielen zu. Jetzt hob und senkte die Brust sich regelmäßig, ich glaubte ihn wieder eingeschlafen. Da blinzelte er mich abermals an, stier-blöd.

„Ich meine, als Käufer. Hm, als eventueller Käufer eines Spaniels.“

Nun wich der Ausdruck völliger Stumpfe einem mählichen Begreifen. Ja, etwas wie feindseliger Hochmut begann mich aus diesen qualligen Augen anzulauern. Unter kolossalischen Ächzern, von neun Schwanzstummeln freudigst bewedelt, hob er seine verdreckten Stiefel vom Bettfuß, taumelte er hoch, kauerte er auf der Bettkante und zog sich mit lahmen Griffen den gelockerten schwarzen Schlips zurecht, knöpfte sein langschößiges schwarzes Jackett. Die Helle blitzte auf einer violett leuchtenden Akne, die die linke Nüster seiner an sich nicht unedel geformten Nase verunstaltete.

„Vacca Madonna“, grunzte er, mich ungnädiger anblinzelnd als der Erzvater. „Wie kommen Sie ... wer hat Sie hergeschickt?“ Er sprach ein fast akzentfreies Hochdeutsch.

„Herr Pizzagalli.“

„Pizzagalli, hä?“ Ächzen. Plötzlich stand er auf den Beinen, spitzte den überfransten Mund zu einem küssenden Geräusch: „Pf-pf, Sirio! Venga qui.“

Ein etwa dreivierteljähriger Wachtelhund mit pechschwarzem jugendglänzendem Fell krabbelte gehorsam übers Bett. De Colana packte ihn schwankend an der lockern Nackenhaut, schob sich näher und hielt ihn mir brüsk dicht vor die Nase, fast daß er ihn mir ins Gesicht geschwenkt hätte.

„Zwölfhundert Franken!“ knarrte er. Gesäuerter Schnapshauch schlug beizend unter den Schnurrbartfransen hervor.

 Ich dachte nicht dran, einen Hund zu kaufen; wie konnten wir, Flüchtlinge ohne Zuhaus, ein Haustier an uns binden? Dennoch verblüffte mich der Preis. Ich betrachtete Sirio. Er hing mir vor der Nase, ohne Zappeln, ganz artig leidende Unschuld, und glotzte mich aus seinen jungen runden Onyx-Augen an.

„Zwölfhundert? Ist das nicht bißl teuer?“

De Colana setzte Sirio mit einer Behutsamkeit, die rührte, weil sie dem Vertaumelten nicht leichtfiel, aufs Bett. Dann begann er in den verfilzten Prachthängeohren des an seinen Schenkel gekuschelten Erzvaters zu wühlen.

„Teuer, mein Herr, aber echt. Schottischer Cockerspaniel, alter Stammbaum, King Charles ... Sirio of Bannockburn ... Da können Sie nach Mailand laufen oder Zürich, und wenn Sie mir solch einen Hund finden – ääch!“, ein Hochmutsgrunzen, „dann zahle ich Ihnen zwölfhundert Steine auf den Tisch ... Ich gebe ihn nicht billiger her. Wenn er Ihnen zu teuer ist – mir gleich. Sie brauchen ihn nicht zu kaufen.“

©Schöffling & Co.©

Literaturangabe:

BECHER, ULRICH: Murmeljagd. Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2009. 704 S., 24,90 €.

Weblink:

Schöffling & Co. Verlag


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