Von Wilfried Mommert
BERLIN (BLK) – Der amerikanische Regie-Altmeister Robert Wilson (67) und Popstar Rufus Wainwright (35) haben in ihrer Liebe zu Shakespeare zueinander gefunden und am Berliner Ensemble (BE) einen Abend zwischen Traum und Theaterwirklichkeit zelebriert. Vor allem aber ging es bei der Premiere von „Shakespeares Sonette“ am Sonntag im ehemaligen Brecht-Theater um Leidenschaft und Liebe. Das wird hier gepaart mit Wilsons bekanntem choreographischen Figurentheater und Wainwrights dafür komponierten Musik-Versatzstücken und Anspielungen aus der Musikgeschichte (von Kurt Weill bis Hardrock) oder eigener, oft melancholischer Werkstatt. Wilson ist am BE gut bekannt – zuletzt brachte er die „Dreigroschenoper“ und Büchners „Leonce und Lena“ (mit der Musik von Herbert Grönemeyer) mit großem Erfolg auf die Bühne.
Das Premierenpublikum – darunter Herbert Grönemeyer, der Dramatiker Rolf Hochhuth, Regiestar Stefan Herheim, der in Berlin und Bayreuth Wagners „Lohengrin“ beziehungsweise „Parsifal“ inszenierte, der große alte Theatermann Ivan Nagel und Altbundespräsident Richard von Weizsäcker – war von dem dreistündigen Abend sichtlich angetan und jubelte. Den kanadisch-amerikanischen Songwriter Wainwright animierte das zu einer kleinen Solo-Performance auf der Bühne mit zwei Songs.
Die bekennenden Homosexuellen Wilson und Wainwright fesselte bei ihrer Vorlage offenbar besonders die Tatsache, dass William Shakespeare (1564-1616) in seinen Sonetten immer wieder einen bis heute unbekannt gebliebenen „schönen Jüngling, blond und rein“ anbetete. Der große Dichter ließ es auch sonst nicht an Klarheit fehlen, wem seine wirkliche Zuneigung galt – dem „fair boy“ oder der „dark lady“ – „Mein guter Geist: ein Mann, blond, schön und rein, mein böser Engel ist ein dunkles Weib. Verderben will mich böse Weiberlist, die mir den guten Geist abspenstig macht.“
Dazu meinte Wainwright im Vorfeld der Premiere in einem Interview („B.Z.“): „Ich bin schwul, Bob ist schwul. Ich will nicht behaupten, dass Shakespeare auch schwul war. Aber ich bin mir sicher, dass er in diesen blonden Jüngling verliebt war.“ Shakespeare himmelte in der Tat immer wieder seinen „Liebsten“ an. Für den Songwriter sind Shakespeares Sonette, und nicht nur für ihn, „die Krönung der abendländischen Literatur“, jedenfalls „die schönsten Dinge, die je geschrieben wurden“. Es sind poetische Verszeilen voller Leidenschaft über Liebe, Altern, Einsamkeit, Hass und Tod – „So lang noch Augen sehn und Menschen leben, so lang lebt dies Gedicht und gibt dir Leben.“
Die Sonette wurden in Deutschland nicht zum ersten Mal vertont und auf die Bühne gebracht, auch als Ballett. So inszeniert der amerikanische Theatermacher Wilson, der vor Jahrzehnten mit Arbeiten wie „Death, Destruction and Detroit“ und „The CIVIL warS“ bekanntwurde, die Sonette denn auch wieder in seinem typischen choreographischen Tanztheater mit langsam-grotesk agierenden, grell geschminkten Darstellern und einer kargen Bühne voller Lichteffekte und bunten Kostümen (wie in Shakespeares Zeiten). Das wird gepaart mit der Musik Wainwrights, die die Textverständlichkeit der Sonette nicht immer befördert, aber doch die Leidenschaft Shakespeares, die er in seine Texte gelegt hat, spüren lässt. Zudem gibt es ein dickes Programmheft mit einer Auswahl von Shakespeares Sonetten in Englisch und Deutsch.
Unter den Darstellern brillierten vor allem die Grande Dame des Berliner Theaters, Inge Keller, in der Rolle Shakespeares, Jürgen Holtz als Königin Elisabeth (I und II) und Ursula Höpfner-Tabori als „Black Lady“. Die von dem Dichter so angeschwärmten jungen Männer werden von Frauen in androgyner Maske dargestellt. Die Berliner Szene-Diva Georgette Dee fungiert an diesem Abend als „Pausenclown“. Für den Opernfan Wainwright (mit Wohnung in Berlin-Mitte) ist das BE-Projekt auch so etwas wie ein Vorspiel für die Premiere seiner Oper „Prima Donna“ demnächst in Manchester. (dpa/köh)