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Ungehasste Stadt Bremen

Jörg Sundermeiers und Radek Krolczyks Anthologie „Bremenbuch“

© Die Berliner Literaturkritik, 17.04.08

 

BERLIN (BLK) – Das „Bremenbuch“ wurde von Jörg Sundermeier und Radek Krolczyk herausgegeben und ist im Verbrecher Verlag erschienen.

Klappentext: Bremen liegt an der Weser. Früher gab es Kolonialwarenhändler, Werften, Räterepublik und die rote Kaderschmiede, aber das ist lange her. Nach wie vor essen die Bremer Labskaus und Kohl mit Pinkel, exportieren Beck's und die Bremer Stadtmusikanten in alle Welt, lieben Paula Modersohn-Becker und Tim Fischer, sind natürlich für Werder und stolz auf Schnoorviertel, Böttcherstrasse, Roland, Dom und Überseemuseum. Doch was ist die Stadt, die zusammen mit ihrer Hafendependance in Niedersachsen das kleinste Bundesland bildet, wirklich?

Texte und Bilder von Nina Bittcher, Adelbert von Chamisso, Peter O. Chotjewitz, Detlev Claussen, Tanja Dückers, Fabsi, Gabriele Goettle, Oliver Grajewski, Germar Grimsen, Judith Heckel, Meike Jansen, Jürgen Kiontke, Knud Kohr, Radek Krolczyk, Rudolf Lorenzen, Kolja Mensing, Jana Nowack, Eric Peters, Sven Regener, Hans-Georg Schaefer, Tim Schomacker, Johannes Springer, Arn Strohmeyer, Florian Thalhofer, Linus Volkmann und Ambros Waibel.

Jörg Sundermeier wurde 1970 in Gütersloh geboren. Lebt in Berlin. Herausgeber diverser Bücher im Verbrecher Verlag. Seine Glossen "Der letzte linke Student" erschienen 2004 im Albri Verlag, Aschaffenburg Jörg Sundermeier hat im Verbrecher Verlag bisher folgende Bücher veröffentlicht: „Kreuzbergbuch“, „Mittebuch“, „Bielefeldbuch“, „Neuköllnbuch“, „Das Buch vom Klauen“, „Hauptstadtbuch“, „Frankfurtmainbuch“, „Kölnbuch“, „Das Buch vom Trinken“, „Hamburgbuch“, „Münchenbuch“, „Leipzigbuch“, „Bremenbuch“, „Stuttgartbuch“.

Radek Krolczyk wurde 1978 im polnischen Pyskowice geboren und wuchs im sozialdemokratischen Idyll einer Plattenbausiedlung in Nordrheinwestfalen auf. Seit 1998 lebt er in Bremen wo er 2006 sein Kulturwissenschaftsstudium abschloß. Er legt hier und dort Platten auf und führt durch die Ausstellungen des Neuen Museums Weserburg. Gemeinsam mit Eric Peters betreibt er die krätze kneipe und ist Redakteur der Zeitschrift „Extrablatt – aus Gründen gegen fast alles“. Als Mitglied der Gruppe kittkritik hat er zuletzt den im Ventil-Verlag veröffentlichten Sammelband „Deutschlandwunder – Wunsch und Wahn in der postnazistischen Kultur“ mitherausgegeben. Radek Krolczyk hat im Verbrecher Verlag bisher folgende Bücher veröffentlicht: „Bremenbuch“. (fri/wip)

 

Leseprobe:

© Verbrecher Verlag ©

Vorwort

Es ist merkwürdig. Kaum jemand hasst Bremen. Und andererseits behauptet kaum jemand, an Bremen mit glühender Liebe zu denken. Man liebt Werder Bremen, ja. Und die Weser! Aber die Stadt? Es scheint, als sei Bremen auch für seine Bewohner eher etwas, mit dem man sich arrangiert hat. Man lebt gut hier, es ist verhältnismäßig ruhig, und die Probleme sind in Bremerhaven.

Die traditionsreiche, erstmals 782 erwähnte, ehemalige Ansiedlung der Sachsen hat sich dabei recht ruhig durch die Fahrwasser der Geschichte begeben können. Sie war zwar, wie alle alten Städte, von Kriegen betroffen, ist jedoch nie geschleift worden. Sie trat der Hanse bei, soll aber, ein eher unzuverlässiger Partner gewesen sein. Die Reformation verlief ohne allzu heftige Kämpfe, spätestens nach dem Westfälischen Frieden war das frühere Erzbistum Bremen säkularisiert. Der Gefahren für den Handel, wie sie etwa Balthasar von Esens, ein, nach Bremischer Ansicht „Seeräuber“, darstellte, wurde sich effizient entledigt, der Transatlantikhandel dagegen auf- und ausgebaut. Man arrangierte sich mit der Besetzung durch Napoleonische Truppen, ebenso wie man es hinnahm, dass man nach dem Zweiten Weltkrieg eine „amerikanische Enklave“ im britischen Besatzungsgebiet war. Bremen und Bremerhaven wurden zu einem eigenen Bundesland und wiederstanden bis jetzt jeder Versuchung, sich ins größere Niedersachsen einzugliedern. Die Hansestadt behielt sogar trotzig ihr geliebtes Radio Bremen als kleinsten ARD-Sender bei. Das Motto „buten un binnen – wagen un winnen“ („draußen und drinnen – wagen und gewinnen“) klingt zwar nach großem Abenteurertum, doch waren die Wagnisse eher kaufmännischer Art und die Gewinne waren vor allem in Münzen zu zählen, nicht in Hektar.

So machte sich die Stadt keinen schlechten, doch auch keinen allzu guten Ruf. Kaufleute fallen ungern auf. Dabei hat Bremen durchaus seine Schattenseiten. So war Bremen etwa eine der wichtigsten Umschlagplätze für die in der Kolonialzeit geraubten Kunstgegenstände und Waren, während der Nazizeit hieß die Stadt deswegen sogar „Stadt der Kolonien“. Und in den heute so schmerzlich vermissten Werften wurden eifrig Schiffe für Hitlers Marine geschweißt, bei Borgward, dem späteren Inbegriff für Anfang und Ende des sogenannten „Wirtschaftswunders“, wurden Fahrzeuge für den Russlandfeldzug hergestellt, weitere Waffen wurden allerorten im Stadtgebiet produziert. Auch die Wolle und Kaffee handelnden Pfeffersäcke arrangierten sich mit den Braunhemden. Und die jüdische Bevölkerung wurde durch die „Arier“ wie selbstverständlich ausgegrenzt und ermordet.
Doch in Bremen münzt man gern um, wenn die Zeiten sich ändern. Der steinerne Elefant in Schwachhausen, der 1932 das „Reichskolonialehrendenkmal“ abgab, wurde 1989 zum „Antikolonialdenkmal“ umgewidmet, nun heißt es in umständlicher Genitivkonstruktion: „In der NS-Zeit stand der Elefant im Mittelpunkt der Bestrebungen des nationalsozialistischen Bremens ‚Stadt der Kolonien‘ im ‚Dritten Reich‘ zu werden. Afrikas Probleme sind heute noch mit Kolonialismus, Rassismus und andauernder Ausbeutung eng verbunden. Afrikas Menschen haben unter großen Opfern in Befreiungskämpfen erfolgreich Widerstand geleistet. Weltweit haben sich viele Menschen mit ihnen solidarisiert. Unsere Gesellschaft hat begonnen, aus dieser Entwicklung zu lernen. Afrika hat in Bremen neue Freunde gefunden. Dieses Denkmal ist ein Symbol für die Verantwortung, die uns aus der Geschichte erwächst.“ Die Gegenstände, die Forscher aus Afrika raubten, werden gleichwohl weiterhin im Überseemuseum gezeigt und keinesfalls zurückgegeben, da ist nicht mehr die Rede von der „Verantwortung, die uns aus der Geschichte erwächst.“.

Dies ist nur ein Beispiel für die Kunst der Bremer, sich zu arrangieren. Doch nicht immer war und ist diese Kunst moralisch zu verdammen. Der norddeutsche Pragmatismus, der die Stadt prägt, erspart vielen Bremerinnen und Bremern einen zu heftigen Lokalpatriotismus, verlangt dem Senat oder wohltätigen Wohlhabenden nur selten allzu protzige Bauten ab oder allzu dröhnende Statements.

Daher fällt es einem Kultursenator nicht schwer, im Jahr 1980 dem wegen „Terroraktivitäten“ verhafteten Autor Peter Paul Zahl den Literaturförderpreis der Freien Hansestadt Bremen zu überreichen, auch interveniert er nicht, wenn der Preisträger in der Dankesrede von „Häftlingsüberwachung“ und „weißer Folter“ spricht.

Wie also lebt es sich in diesem pragmatischen Bremen, wie kommt man hier klar, wie ist es, wenn man nur zu Besuch hereinschaut? Die Beiträgerinnen und Beiträger dieses Bandes beschrieben das Bremen abseits der Sehenswürdigkeiten und der Klischees, und dennoch kommt alles vor: der Roland, die Weser, Werder und die Grohner Düne. Mal direkt, mal indirekt. Aber nie zu sehr.

Bremen, im März 2008

Radek Krolczyk, Jörg Sundermeier

© Verbrecher Verlag ©

Literaturangaben:
SUNDERMEIER, JÖRG / KROLCZYK, RADEK (Hrsg.): Bremenbuch. Anthologie. Verbrecher Verlag, Berlin 2008. 248 S., 13 €.

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