Von Johannes von der Gathen
Sie wollen raus aus Kreuzberg, wo es in den Wohnungen nach Kohlenstaub und Autoabgasen riecht. Der Schriftsteller Wolf und seine langjährige Lebensgefährtin Alina sehnen sich nach Ruhe und Natur, und landen schließlich am südöstlichen Stadtrand von Berlin, im beschaulichen Friedrichshagen.
Aber dieser Umzug ist mehr als nur ein Wohnungswechsel, die routiniert eingespielte, stets fragile Beziehungsbalance zwischen dem egozentrischen Wolf und der sensiblen Alina gerät in Schieflage – spätestens, als Wolf sich eine Geliebte nimmt und immer öfter Ausflüge in die Stadt unternimmt. Sein Labrador Webster wird zum stummen Zeugen einer unausgesprochenen Lebenskrise, die existenzielle Ausmaße annimmt.
In seinem neuen Roman „Feuer brennt nicht“ gibt sich der 1953 in Schleswig geborene, im Ruhrgebiet aufgewachsene Ralf Rothmann („Rehe am Meer“, „Junges Licht“) so ungeschützt und pathetisch wie noch nie. Sein Protagonist Wolf trägt unverkennbar autobiografische Züge, ein Alter Ego, und dies wird auch ausdrücklich reflektiert: „So bleibt nur die dritte Person, eine dürftige Tarnung, womöglich mit sprechendem Namen“. Rothmann zeichnet in Rückblenden, durchsetzt von manchmal eher banalen, bemüht poetischen Reflexionen über den Schriftstellerberuf und Gott und die Welt („Nur Flüchtiges blüht“) die Geschichte einer Beziehung nach, die durch die Untreue des Mannes in eine fatale Sackgasse gerät.
Dabei fing alles so romantisch an. Bei einer Lesung im Sauerland – ein Hund im Saal sorgt für komische Momente – lernt der knapp dreißigjährige Wolf die junge Buchhändlerin Alina kennen, später folgt sie ihm nach Berlin und beginnt ein Studium der Germanistik. Es schließen sich alle Höhen und Tiefen einer schwierigen, auf Wolfs Wunsch hin kinderlosen Partnerschaft an, die der Text mit schmerzhafter Eindringlichkeit nachzeichnet. Um das Körperliche macht dieser Roman keinen verschämten Bogen, er stellt es aus und überschreitet mitunter die Grenze zur Peinlichkeit. Der Sex mit Alina und der Geliebten Charlotte, die auf gewagtere Sachen steht, wird ebenso minuziös beschrieben wie eine Darmspiegelung von Wolf, die in metaphysische Gefilde führt: „kommt ihm sein abgründiger Darm wie ein Tiefseegebilde vor, ein nie gesehenes Riff“.
Daneben aber finden sich, wie fast immer bei Ralf Rothmann, wunderbar genaue, einleuchtende, präzise Sequenzen. Hellsichtig durchleuchtet der Text das soziologische Ost-West-Gemisch am neuen Wohnort, die alten DDR-Bürger und neue, zahlungskräftige Hausbesitzer aus dem Westen stehen sich in herzlichem Unverständnis gegenüber. Es gibt großartige Landschaftsbeschreibungen, zum Ende hin bevölkern wieder Vögel und Rehe den Roman – Botschafter einer anderen, vom Alltag abgehobenen Sphäre.
Rothmann wollte diesmal kein „Erzähltheater“ inszenieren, aber in den Kulissen dieser verkappten, durchaus verstörenden, versatzstückhaften Autobiografie verläuft er sich dann doch. Trotzdem folgt man diesem Autor auch dann noch mit nie nachlassendem Interesse, wenn er Umwege einschlägt.
Literaturangaben:
ROTHMANN, RALF: Feuer brennt nicht. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2009. 305 S., 19,90 €.
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