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Rasend schneller Debütroman

Henning Kobers Roman über die Generation X

© Die Berliner Literaturkritik, 17.03.10

Von Anja Kümmel

Der Roman beginnt am „Morgen des 32. Dezember“, im Großen Club Berlin. Schneechaos. Janus, der Ich-Erzähler – betrunken, zugedröhnt oder beides – pendelt im Taxi zwischen Luxushotels und Szene-Partys hin und her. Er verbringt die Nacht mit Sascha, einer „extrem klugen, extrem lustigen, extrem hübschen und leicht verlorenen Frau“. Oder doch mit Alexis? Oder Jackie? So ganz sicher ist das nicht, denn von Anfang an werden Chronologie und  Bewusstseinszustände gehörig durcheinander geschüttelt.

Bereits die ersten Sätze erfassen die Grundstimmung des gesamten Buches: Das Raum-Zeit-Kontinuum ist aufgehoben; Sinneseindrücke treffen verspätet ein wie verloren gegangenes Gepäck. Alles ist extrem. Und gleichzeitig unglaublich hohl.  Flashbacks, Tagträume, Realität und „Reality“ vermischen sich zu einem rauschhaften Wahrnehmungs-Stakkato.

Zunächst vermag dieser Hochgeschwindigkeits-Stil durchaus zu fesseln. Die vielen lediglich angerissenen Handlungsstränge und flüchtig vorgestellten Nebenfiguren machen neugierig auf die weitere Entwicklung der Geschichte.

Kurzfristig lässt sich sogar so etwas wie ein roter Faden ausmachen: Janus ist auf der Suche nach seinem Bruder Bobby, der sich mit einem „Rachebuch“ in der Heimat unbeliebt gemacht hat und nun aus dem Exil zornige Blog-Einträge und anklagende Briefe schreibt. Eine Weltreise in wahnwitzigem Tempo beginnt: London, New York, Los Angeles, Himalaja, Paris, Cannes, Athen, München, Wien, dazwischen immer wieder Berlin.

Irgendwo hoch über den Wolken zwischen Ost- und Westküste beginnt der Leser zu ahnen, dass es, trotz aller Bewegung, keine wirkliche Entwicklung geben wird. Der immer gleiche Tonfall, schwankend zwischen abgeklärter Ironie und spätpubertärem Pathos, ermüdet. Selbst wenn die Beschwörung von Geschwindigkeit Programm sein soll, braucht sie zuweilen eine Verlangsamung als Kontrastfolie. Dieses Innehalten jedoch fehlt völlig. Stattdessen durchkreuzt rasch wechselndes Personal die rasch wechselnde Szenerie: Sascha, Alexis, Bas, Brian, Pete, Alfie, dazwischen immer wieder Jackie. „Tatsächlich sind ihre kommenden Rollen allenfalls zu erahnen, und das gilt nicht nur für diese Nacht.“ Was ein Versuch über fluide Identitäten in einer globalisierten Welt hätte sein können, ist letztendlich bloß langweilig. Sämtliche Nebenfiguren werden zu Trägern bestimmter Marken und Meinungen degradiert, die dem Erzähler als Stichwortgeber für seine überwiegend klischeehaft-zynischen Ergüsse dienen. Selbst Jackie, Janus’ verlorene Liebe, bleibt blass. Warum er seit sieben Jahren an ihr hängt, wird nicht recht ersichtlich. Über Gefühle wird weder gesprochen noch nachgedacht, und nicht einmal Sex gibt mehr den ersehnten Kick.

Die Suche nach dem verschollenen Bruder ist mehr ein Vorwand für die Aufrechterhaltung des Tempos als deren Ziel. Wenn Janus und Bobby aufeinandertreffen, findet keine wirkliche Begegnung statt, weder Annäherung noch Konfrontation. Es geht einfach weiter zur nächsten Poolparty, zum nächsten angesagten Club. Markennamen werden munter eingestreut – Terminators, Adidas Supernovas, Converse, Wayfarer – während Musik aller Stilrichtungen durch den großen Fahrstuhl auf dem Weg zwischen zwei Orten dudelt: Falco, Nirvana, New Order, Babyshambles, Daft Punk, Nelly Furtado, Nina Simone, Bauhaus, die Weather Girls. Nichts sticht heraus, nichts berührt, nichts bleibt hängen.

Ein bisschen wirken die Darsteller der Kober-Welt wie ihrer Ewigkeit überdrüssige Vampire: unheimlich schnell und unendlich wandelbar, jenseits materieller Zwänge, merkwürdig asexuell, lichtscheu, unberührbar. Einzig ihre Gier haben sie verloren. Kein Blutdurst, und nicht einmal ein Hauch von existenzieller Zerrissenheit ist zu spüren.

Die am Anfang stehende „Suche nach dem Wunderbaren, dem Wahrhaften, den nicht gesteuerten Gefühlen“ ist längst auf der Strecke geblieben. Nur Bobby bäumt sich noch einmal auf, schlägt – zumindest virtuell – wild um sich. Er hat viele Ziele im Visier: Kriegsverbrecher, Deutschtümelei, Hochglanzmagazine, Konsumterror. Die Wahllosigkeit seiner Attacken lässt ahnen, dass er keines davon treffen wird. Bobbys Radikalität wird mehr behauptet als gelebt: In seinem Buch New Order 07 verüben ein paar „nihilistische Romantiker“ Terroranschläge gegen ihr eigenes Land. Dass dieses fiktive Aufmucken neureicher Kids für große Aufregung und Verbannung ins Exil gesorgt haben soll, wirkt ebenso unglaubwürdig und aufgesetzt wie die Terroranschläge, die am Ende tatsächlich passieren, ohne dass bekannt würde, von wem verübt oder wogegen.

Obwohl die Protagonisten ständig irgendetwas konsumieren, ist „Unter diesem Einfluss“ kein „Drogenroman“. Chronic, Haschisch, Kodein, Kokain, Acid, Theraflu, Advil, Jahrgangs-Champagner, Kamillentee aus Blumentassen, Schokolade auf Silbertabletts – all das sind bloße Namen, ebenso willkürlich und inhaltsleer wie die Erwähnung von Markenartikeln. Die Wirkungen der eingeworfenen Mittel heben sich gegenseitig auf oder treten gar nicht erst ein. Die Freude über echtes Geschirr macht den Erzähler genauso high wie ein Joint; die Sehnsucht nach Jackie hat ungefähr denselben Stellenwert wie der Appetit auf Erdbeeren; die Sonne (oder der Schnee, oder der Regen) knallt genauso durch den Kopf wie „Aufregungsendorphine“. Provozierend ist das nicht.

Zu behaupten, hier würde die „Generation 9/11“ beschrieben, hieße zuzugeben, dass Ereignisse, die wir für weltverändernd hielten, im Grunde genommen austauschbar sind. Denn alles, worüber Kober schreibt, wurde so oder ähnlich schon einmal gesagt. Nur dass Autoren wie Jack Kerouac und J.D. Salinger, Christian Kracht und Bret Easton Ellis, die „Generation X“ weitaus treffsicherer vorgeführt und in den Kontext ihrer Zeit eingeordnet haben.

Dabei sind in „Unter diesem Einfluss“ durchaus existenzielle Themen angelegt: Der Vater liegt mit einem Schlaganfall auf der Intensivstation in Los Angeles, Jackie mit einem Schädelbasisbruch in einer Berliner Privatklinik, und auch Bobby lebt auf ein frühes Ende hin. Der Anschein der Unberührbarkeit entpuppt sich ebenso als Illusion wie der naive Glaube, im Fahrstuhl oder im Flugzeug stünde die Zeit still. Jedoch trifft Kobers Schlaglicht-Stil, wenn es um Gefühle geht, nicht das Wesentliche. Anstatt dem Vater zu begegnen, Jackie zu konfrontieren, sich der eigenen Hilflosigkeit zu stellen, flüchtet sich Janus in die Beliebigkeit neuer Drogen, peripherer Begegnungen, belangloser Konversation. Sein Irrlauf durch die Zeitzonen ist sicherlich auch als Flucht vor der eigenen Vergänglichkeit zu verstehen, eine schwer zu stoppende Sucht, weil „anhalten anstrengender als weiterlaufen“ wäre. Dennoch entstehen keine Brüche; nirgends schimmert Existenzielles durch. Fast scheint es, als hätte der Autor diesen Mangel selbst erkannt und, um seinen Roman aus der Belanglosigkeit zu retten, immer wieder Halbsätze über den Krieg in Afghanistan, die RAF, HIV, deutschen Nationalstolz und andere „welthaltige“ Themen eingestreut. Für sich genommen kommen diese Referenzen jedoch über Party-Aperçus kaum hinaus.

So mäandert der Roman bis zum Ende unentschlossen zwischen Medienkritik und Roadmovie, abgeklärtem Upper-class-Geschwätz und zynischer Selbstbespiegelung.

Eins jedoch muss man dem Buch lassen: Auch wenn nicht viel mehr rumkommt als Drogenexzesse und Großstadttristesse – ziellose Taxifahrten, sehr viel kaltes Neonlicht, Schneegestöber, „immer mehr dicke Flocken drauf auf alle Trümmer“, „tränengroße Regentropfen“ und extrem knallende Sonne – diesen Ton immerhin beherrscht Kober perfekt.

 

Literaturangaben: KOBER, HENNING: Unter diesem Einfluss. S.Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009. 285 S., 18,95 €.

 

Weblink: S. Fischer

 

 

 


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