Von Ira Schaible
FRANKFURT AM MAIN (BLK) - Mit der Entscheidung, den Begriff „notleidende Banken“ zum Unwort des Jahres 2008 zu machen, hat die unabhängige Jury die Stimmung in der Gesellschaft getroffen. Nach der Bekanntgabe des Begriffs in der Bankenstadt Frankfurt überwog am Dienstag jedenfalls die Zustimmung - anders als in früheren Jahren. Die Wahl der fünf Sprachexperten fiel diesmal auch auf einen Begriff, der zusammen mit „Nacktscanner“ von den Bürgern am häufigsten als Unwort vorgeschlagen worden war. Die meisten der insgesamt 2117 Vorschläge hätten sich um das Finanzdebakel gedreht, sagte Jury-Sprecher Horst Dieter Schlosser.
„Wenn man überlegt, dass einige dieser sogenannten notleidenden Banken immer noch Dividenden auszahlen und durchaus an Boni und so weiter denken, dann wird der ganze Wahnsinn klar, der da augenblicklich herrscht - nicht nur in Deutschland“, sagte Schlosser. Der Bundesverband deutscher Banken in Berlin, der für die privaten Banken spricht, wollte zur Unwort-Wahl nichts sagen. Auch bei der Deutschen Bank hieß es: „Kein Kommentar“.
„Die Formulierung stellt das Verhältnis von Ursachen und Folgen der Weltwirtschaftskrise rundweg auf den Kopf“, heißt es in der Begründung der Jury. Und: „Während die Volkswirtschaften in ärgste Bedrängnis geraten und die Steuerzahler Milliardenkredite mittragen müssen, werden die Banken mit ihrer Finanzpolitik, durch die die Krise verursacht wurde, zu Opfern stilisiert.“
Zu den Kritikern der Wahl gehört Bankenexperte Dirk Schiereck, Professor für Unternehmensfinanzierung an der Technischen Universität Darmstadt. „Der Begriff ‚notleidende Bank’ drückt zunächst mal aus, dass es einer Bank nicht gut geht, das hat nichts mit Opfer oder Täter zu tun“, sagte Schiereck der dpa. Allerdings zeige die Wahl durchaus, dass es ein Kommunikationsproblem bei den Banken und der Regierung gebe: „Es ist nicht gelungen, den Sinn der Rettungspakete für die Gesamtwirtschaft zu vermitteln.“
„Die Banken mögen zwar Not leiden“, sagt Schlosser. „Aber das hätte man auch anders formulieren können.“ Als Beispiel schlug er „angeschlagene“ oder „gefährdete Banken“ vor. Allerdings weiß auch Schlosser nicht, wer das Unwort 2008 eigentlich aufgebracht hat. Das Unwort soll jedes Jahr sprachliche Missgriffe brandmarken, die sachlich grob unangemessen sind und möglicherweise sogar die Menschenwürde verletzen.
Unter den zahlreichen Vorschlägen zum Thema waren beispielsweise „Bonuszahlungen“ und die von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum Wort des Jahres 2008 gewählte „Finanzkrise“. Auch „innovative Finanzprodukte“ und „Finanzindustrie“ gehörten dazu, „vor allem wenn dabei nur Schulden und faule Kredite rauskommen“, wie Schlosser sagt. Auch ganze Berufsgruppen seien als Unwort vorgeschlagen worden, so etwa Anlageberater, Finanzexperten, und - eine Mischung aus Banker und Gangster – „Bang/kster“. Manche hielten selbst den Namen von Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann für unwortverdächtig.
Der Bundesvorsitzende des Verbands deutscher Schriftsteller, Imre Török, nannte die Wahl der Jury „treffend“. „Das passt zusammen wie ‚heilsame Cholera’“, sagte er der dpa. „Not verursachende Zocker stehen plötzlich als Notleidende da. Das widerspricht jedem Werte-Denken.“ Wer über Not oder Notleidende sprechen wolle, müsse dahin schauen, „wo die Geldgier die Not wirklich verursacht hat“.
„Das ist keine schlechte Wahl. Es lohnt sich mal darüber nachzudenken und inne zu halten“, sagte Professor Bruno Strecker vom Institut für deutsche Sprache in Mannheim der dpa. Das Unwort bringe vielleicht manchen dazu zu überlegen, „wie gedankenlos daher geredet wird, weil gar nicht mehr der Blick auf die gerichtet ist, die wirklich in Not sind“. Als Beispiel nannte der Sprachwissenschaftler Rentner, die ihr angelegtes Geld für das Alter verloren hätten.
Nach Ansicht des parlamentarischen Geschäftsführers der Linken-Bundestagsfraktion, Ulrich Maurer, bringt der Begriff „den ganzen Zynismus dieses Gesellschaftssystems anschaulich auf den Punkt“. Dass sich diese Bezeichnung zu einem Standardbegriff entwickelt habe, „verdeutlicht den Substanzverfall der finanzwissenschaftlichen Debatte“. Die Politiker sollten „den Begriff auf den Index setzen und sich stattdessen mit der Situation der notleidenden Menschen beschäftigen“.
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