Von Miriam Bandar
WIEN (BLK) – Um die Uraufführung eines neu zusammengefügten, so gut wie unbekannten Stückes des deutschen Schriftstellers Bertolt Brecht (1898-1956) in Wien ist ein Theaterstreit entbrannt. Das Wiener Theater in der Josefstadt plant für Donnerstag (11. September 2008) die Premiere des rekonstruierten Brecht-Stückes „Die Judith von Shimoda“. Diese Vorstellung bewirbt das Theater als Uraufführung, da bisher nur Textfragmente bekannt waren und nun nach der Entdeckung eines finnischen Manuskriptes das ganze Stück zusammengefügt wurde. Darüber ist allerdings das Berliner Ensemble verärgert, das bereits 1997 Teile des Werkes zeigte und dies als Uraufführung deklarierte.
„Wer hat denn da geschlafen?“, überschreibt das Berliner Ensemble seine Kritik an den Wienern. Da werde pompös die Sensation einer Brecht-Uraufführung gefeiert, die gar keine sei. Am 20. Dezember 1997 sei Brechts „Die Judith von Shimoda“ bereits im Berliner Ensemble unter der Regie von Jörg Aufenanger und Judith Kuckart gespielt worden. Es sei eine sehr erfolgreiche Uraufführung gewesen, die viel Beachtung gefunden habe. Wie eine Sprecherin des Theaters in der Josefstadt sagte, wolle ihr Haus zu den Vorwürfen keine Stellung beziehen, da der Unterschied zwischen beiden Stücken unbestreitbar sei.
Bei der Wiener „Judith von Shimoda“ handelt es sich in der Tat um eine andere Fassung als in Berlin, doch die Geschichte des Stückes um die entehrte Geisha Okichi ist kompliziert: Brecht hatte sich 1940 im finnischen Exil gemeinsam mit der finnischen Schriftstellerin Hella Wuolijoki mit der Geschichte um die japanische Volksheldin Okichi beschäftigt. Sie wollten nach Texten des Japaners Yuzo Yamamoto gemeinsam eine Fassung für die europäischen Bühnen schaffen. Im Nachlass Brechts waren mit fünf von elf geplanten Szenen jedoch bisher nur Fragmente des Stückes erhalten - diese inszenierte das Berliner Ensemble 1997.
Der Literaturwissenschaftler Hans Peter Neureuter stieß dann 2004 bei Nachforschungen im Haus der finnischen Schriftstellerin auf ein Manuskript des kompletten Stückes in Finnisch. Dieses übersetzte und rekonstruierte er mit den deutschen Fragmenten zu einer kompletten Geschichte mit Rahmenhandlung. Diese Bearbeitung erschien 2006 beim Suhrkamp Verlag und liegt der geplanten Uraufführung in Wien zugrunde, in der Mavie Hörbiger die Titelrolle spielt.
Wer von den beiden Dramatikern nun genau was zu dem Werk beigetragen hat, ist indes schwierig zu rekonstruieren. Der Titel der finnischen Version lautet übersetzt laut Neureuter: „Okichi. Die japanische Judith. Ein Schauspiel von Yamamoto Yuzo. Westliche Bearbeitung mit Vorspielen von Hella Wuolijki und Bertolt Brecht.“ Ihm sei schmerzlich bewusst, dass er sein Werk ohne Brechts Autorisierung und letzten Schliff geschaffen habe, die Sprache des Dichters sei durch nichts zu ersetzten, sagte der Literaturwissenschaftler zu seiner eigenen Arbeit.