Von Jacqueline Moschkau
Es ist ein weites Feld an Möglichkeiten, um Werbung wissenschaftlich zu betrachten. In der Psychologie, speziell in der psychologischen Werbewirkungsforschung, wird vor allem die Rezipientenmanipulation durch Werbung viel diskutiert. Die Linguistik bedient sich der auf hohem stilistischem Niveau angesiedelten Werbesprache im Vergleich zur Alltagssprache als Untersuchungsgegenstand. Die Semiotik im Speziellen erweitert die linguistische Werbeforschung um den zeichentheoretischen Aspekt, wodurch der Betrachtung der sprachlichen Bilder die Untersuchung der Bildsprache, der optischen Darstellung der Texte hinzugefügt wird. Neurobiologie: Laborexperimente betreffend Reiz und Reaktion zur Erforschung der Wahrnehmungsgewohnheiten werden seit den 1950er Jahren durchgeführt. Wie im Weiteren der soziokulturelle Hintergrund des Rezipienten die Wahrnehmung von Reklame beeinflusst, wird von Soziologen untersucht und ist seitens der Werbeagenturen für die Bestimmung der Zielgruppen von großem Interesse. Medien- und kommunikationswissenschaftlich betrachtet ist Werbung vor allem Alltagskultur und zugleich Medium der Massenkommunikation. In diesem Zusammenhang werden auch die Aspekte Autorschaft, Rezeption und Funktion geprüft sowie mithilfe der Systemtheorie eine Grenzziehung zwischen literarisch-künstlerischer Kommunikation und wirtschaftsorientierter Werbekommunikation versucht.
Urs Meyer hat mit „Poetik der Werbung“ nun eine Nische im wissenschaftlichen Diskurs gefunden – und eine Nische von entscheidender Relevanz noch dazu. Denn sein Ansatz das Attribut ‚literarisch’ als medienneutral zu bestimmen schreibt literarischer Kommunikation transmediale Qualitäten zu. Man kann auch sagen: Meyer bricht mit der gängigen Handhabung von Werbung als primitiver Textsorte und – im weiteren Sinne – Werbekreativität als reiner Gebrauchsgattung. Meyer geht viel mehr von einer komplexen Kommunikationsform aus, die sich aus der vielseitigen Gattungstradition der Literatur entwickelt hat und in einer Art poetisierter Alltags- und Reklamekultur Anwendung findet. „Poetik der Werbung“ ist eine Bestandsaufnahme, eine Analyse des Status Quo mit besonderem Interesse an der Verwendung literarisch-poetischer Verfahren einerseits und dem Auftauchen spezifischer poetischer Gattungen andererseits. Die komparativ angelegte Studie schafft eine gelungene Gegenüberstellung von Poesie und Werbung anhand geschickt gewählter Beispiele: Schwitters, Ringelnatz, Kästner, Brecht und andere Lyriker als Werbetexter versus ästhetisch anspruchsvoller Werbebeispiele, die ihre Qualität und Popularität mit dem Erwerb der ‚Canne-Rolle’, dem Award des International Advertising Festival, unter Beweis gestellt haben.
Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung ist eine Grenzziehung zwischen Werbekommunikation und literarischer Kommunikation, zwischen Reklame und Poesie. Doch kann dies einzig und allein dem Zweck dienen, den Fokus auf die entstehende Schnittmenge zu lenken, wobei sich aufgrund der Themenausrichtung des Buches der Blickwinkel natürlich auf die Werbung verschiebt: die Literarizität von Werbekommunikation. Poesie und Reklame liegen nicht etwa am einen und am anderen Ende einer Skala, die nutzenorientierte und ästhetisch schöne Kommunikation voneinander trennt. Sie sind viel mehr die zwei Seiten ein und derselben Medaille – Literatur kann nicht ohne Werbung et vice versa. Neu ist, dass sich Meyer nicht auf Texte beschränkt, sondern sowohl verbale Oberflächen- und Tiefenstruktur als auch nonverbale (visualisierte und akustisch dargestellte) Strukturen auf ihre Poesie untersucht. Naheliegend, dass sich die elektronischen Medien von Radio, TV bis Internet für eine Betrachtung des Trends der Medialität und Interaktivität in Werbespots anbietet, doch es hätte detaillierter sein können. Zudem heißt die „Poetik der Werbung“ von allen denkbaren Seiten zu betrachten nicht per se, das Thema vollends auszuschöpfen. Meyer gibt mit seiner Arbeit einen Denkanstoß in eine neue Richtung und legt gleichzeitig viele Fäden zum Weiterverfolgen aus.
Das Buch ist in der Reihe „Allgemeine Literaturwissenschaft“ des Erich Schmidt Verlags erschienen und Meyer ist sich selbst immer wieder seines literaturwissenschaftlichen Blickwinkels bewusst. Ferner verpasst er es jedoch nicht, seine Betrachtungen mit dem wissenschaftlichen Diskurs zu verknüpfen. Das heißt eine vage Kenntnis der oben skizzierten Standpunkte ist von Vorteil, doch „Poetik der Werbung“ richtet sich nicht ausschließlich an Wissenschaftler dieser Fachgebiete. Es ist eine transwissenschaftliche Forschungsarbeit zu einem Thema der Alltagskultur und trotz des akademischen Duktus vergleichsweise einfach zu lesen.
Literaturangabe:
MEYER, URS: Poetik der Werbung. Erich Schmidt Verlag, Berlin 2009. 344 S., 49,80 €.
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