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„Väter und Söhne“ – Iwan Turgenjew starb vor 125 Jahren

Turgenjews Romane und Novellen sind bis heute Schätze der Weltliteratur

© Die Berliner Literaturkritik, 03.09.08

 

Von Friedemann Kohler

HAMBURG (BLK) – Iwan Turgenjew war der Europäer unter den klassischen Schriftstellern Russlands. Er starb vor 125 Jahren am 3. September 1883 in Bougival bei Paris, nachdem er mehr als 20 Jahre in Deutschland und Frankreich gelebt hatte. Die Literaten Theodor Storm und Gustave Flaubert zählten zu seinen Freunden. „Ich verdanke Deutschland zu viel, um es nicht als mein zweites Vaterland zu lieben und zu verehren“, schrieb Turgenjew 1881 im Vorwort zur deutschen Gesamtausgabe seiner Werke. Turgenjews feinfühlige Figurenzeichnung macht seine sozialpsychologischen Romane und Novellen bis heute zu Schätzen der Weltliteratur.

Der Spross einer russischen Adelsfamilie, geboren am 9. November 1818 bei Orjol in Südrussland, studierte in Berlin Philosophie. Anders als Puschkin und Gogol vor ihm, Dostojewski und Tolstoi nach ihm schaute Turgenjew mit einer westlich geprägten, liberalen Brille auf seine Heimat Russland. Dort herrschte in der Mitte des 19. Jahrhunderts noch die drückende Leibeigenschaft, es regten sich erste revolutionäre Bestrebungen, und Turgenjew wurde ihr Chronist.

Die Wanderskizzen „Aufzeichnungen eines Jägers“ machten den Schriftsteller 1852 schlagartig in Russland berühmt. Turgenjew beschrieb darin in lyrischer Sprache, aber realistisch wohlmeinende wie böse adelige Gutsbesitzer, Szenen aus dem Leben der leibeigenen Bauern. Das Buch wurde von linken Kritikern in Russland gelobt, von Seiten des Staates trug es Turgenjew eine Verhaftung und anderthalb Jahre Verbannung auf sein Landgut ein.

Auch seine Novellen, in denen er wie sein Freund Theodor Storm ein Meister war, widmeten sich dem Leben der Adeligen und der Bauern. Noch heute lesen alle russischen Schüler „Mumu“, die traurige Geschichte des taubstummen Leibeigenen Gerassim: Seine herrschsüchtige Herrin verhindert nicht nur seine Liebesheirat; sie zwingt ihn auch, seinen Hund zu ertränken.

„Wenn ich auf eine einsame Insel verbannt würde und nur sechs Bücher mitnehmen dürfte, so würden zweifellos Turgenjews ‚Väter und Söhne’ dabei sein“, schrieb Thomas Mann über das wichtigste Werk des Russen. Der Roman von 1862 stellte die „Väter“, Gutsbesitzer, die zu schwach sind, etwas zu verbessern, gegen die „Söhne“, bürgerliche Emporkömmlinge, die radikal die Gesellschaft verändern wollen. Mit dem Romanhelden Jewgeni Basarow kam der Begriff des Nihilisten in Russland auf. Sieger in diesem politischen Generationenkonflikt gibt es nicht. Der Abstieg der Väter ist unaufhaltsam, aber auch der neue Mensch Basarow stirbt. „Russland braucht mich? Nein, offenbar doch nicht. Wen braucht man denn schon?“, fragt Basarow auf dem Sterbebett.

In seinem nächsten Roman „Rauch“ (1867) ging Turgenjew mit der angeblich fortschrittlichen Jugend à la Basarow wie mit der Denkrichtung der national eingestellten Slawophilen ins Gericht. Darüber kam es zum Bruch mit seinem Kollegen Fjodor Dostojewski.

Bereits 1863 war Turgenjew dauerhaft nach Baden-Baden ausgesiedelt. Er hatte sein Leben mit der verheirateten französischen Sängerin Pauline Viardot verknüpft und folgte ihr und ihrer Familie. Nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 siedelten die Viardots und Turgenjew nach Frankreich um. Die deutsche Gesamtausgabe und eine Ehrendoktorwürde in Oxford 1879 belegen die Bedeutung, die der Russe Turgenjew für das Geistesleben in Westeuropa hatte. „Seine kosmopolitische Weltoffenheit, sein skeptischer Liberalismus, sein von Humanität durchwärmter Realismus trafen beim westlichen Leser auf Verständnis und Sympathie“, schrieb der Literaturwissenschaftler Peter Brang über Turgenjew.

Literatur zwischen Leibeigenschaft und Moderne – Turgenjews Werke:

Der russische Schriftsteller Iwan Turgenjew (1818-1883) hat in seinen Romanen, Erzählungen und Dramen oft den Konflikt zwischen dem konservativen Zarenreich mit leibeigenen Bauern und modernen westlichen Ideen geschildert. Seine wichtigsten Werke:

„Aufzeichnungen eines Jägers“ (Erzählungen, 1852): Die Darstellung über das Leben russischer Bauern wird als Protest gegen die Leibeigenschaft verstanden. Wegen des Buches wird Turgenjew für ein Jahr auf sein Gut verbannt.

„Ein Adelsnest“ (Roman, 1859): Turgenjew zeigt den Zerfall der traditionellen adligen Gesellschaft am Beispiel einer Gutsbesitzerfamilie.

„Am Vorabend“ (Roman, 1860): In der tragischen Liebesgeschichte wird die Figur des nicht adligen Intellektuellen in die russische Literatur eingeführt.

„Väter und Söhne“ (Roman, 1862): Turgenjew schildert den Konflikt der idealistischen Väter-Generation mit dem revolutionären Nihilismus der Söhne, die alle Ideale und Regeln verneinen.

„Rauch“ (Roman, 1867): Russische Emigranten in Baden-Baden erörtern in fruchtlosen Diskussionen zwischen Westlern und Slawophilen die politischen und sozialen Verhältnisse in ihrer Heimat.

„Neuland“ (Roman, 1878): Der uneheliche Sohn eines Adligen scheitert als Revolutionär an den persönlichen Widersprüchen und erschießt sich.

 

Literaturangaben:
TURGENJEW,IWAN SERGEJEWITSCH: Aufzeichnungen eines Jägers. Roman. Übersetzt aus dem Russischen von Manfred von der Ropp. Suhrkamp Insel, Frankfurt am Main 2001. 457 S., 12,50 €.
---: Mumu. Erzählung. Übersetzt aus dem Russischen von Rolf-Dietrich Keil. Radius Verlag, Stuttgart 2000. 88 S., 13 €.
---: Väter und Söhne. Roman. Übersetzt aus dem Russischen von Manfred von der Ropp. Mit einem Nachwort von Jurij Murasov. dtv, München 2008. 256 S., 8,90 €.

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