Von Gisela Ostwald
NEW YORK (BLK) – Tennessee Williams, Kurt Vonnegut und Joyce Carol Oates gehörten zu seinen wortstarken Verehrern. Richard Yates sei „die Stimme einer ganzen Generation“, rühmte Vonnegut seinen weniger namhaften Kollegen mehrfach. Kein anderer habe den Alltag im Amerika der dreißiger bis späten sechziger Jahre so klar, ehrlich und einfühlsam zu Papier gebracht wie Yates. Sieben Romane und zwei Bände mit Kurzgeschichten ließ der gebürtige New Yorker bei seinem Tod 1992 zurück. Obwohl er nie eine breite und lukrative Leserschaft gewann, zählen Yates Werke durch ihre unsentimentale Offenheit zu den Juwelen der amerikanischen Erzählliteratur des 20. Jahrhunderts.
Die Deutsche Verlags-Anstalt (DVA) in München stellt mit „Verliebte Lügner“ jetzt das vierte Buch des US-Chronisten in Deutschland vor. Im Original („Liars in Love“) bereits 1981 erschienen, schildern die sieben Short Stories das Streben ganz normaler Bürger nach Glück – und immer wieder ihr unvermeidbares Scheitern. Yates Geschichten sind von der Zeit der Depression, des Zweiten Weltkrieges und den Nachkriegsjahren überschattet. Ihre Tristesse aber liegt, wie der Autor glauben macht, ganz generell im menschlichen Schicksal: „Wir sind fast alle zur Einsamkeit verdammt. Das ist die Tragik.“
Da ist die Bildhauerin, die den Kopf des US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt im Auftrag des Weißen Hauses modellieren darf und die Chance ihres Lebens hoffnungslos verpatzt. Zwei Mütter versagen kläglich bei dem Versuch, ihren Kindern gemeinsam ein einigermaßen heiles Zuhause zu bieten. Ein erfolgloser Schriftsteller setzt auf der Suche nach dem Durchbruch verantwortungslos das Glück seiner kleinen Familie aufs Spiel. Ein Fulbright-Stipendiat läuft in London einer Prostituierten in die Arme und nutzt diese bald schamlos aus. Während die junge Frau zwanghaft Geschichten erfindet, um das eigene Elend zu kaschieren, entlarvt er sich mit seiner Berechnung und Kälte als der eigentliche Lügner.
Yates’ Charaktere sind Träumer, die falschen Idealen und Werten nachjagen. Seine Männer leiden unter Selbstüberschätzung und nehmen jede Art Erniedrigung auf sich, um ihren Zielen näher zu kommen. Die Mütter in seinem Erzählband sind geschieden, wie der Autor selbst als Sohn geschiedener Eltern heranwuchs und die eigenen drei Töchter an seine Ex-Frau verlor. Yates Frauen trinken zu viel, sind haltlos und eitel, vernachlässigen den Nachwuchs oft über Liebschaften und sind ein Nichts in den Augen ihrer Kinder und ihrer Umgebung.
„Man hat das Gefühl, dass seine Menschen nie weiterkommen“, schrieb Oates einmal über die Figuren in den Werken des von ihr sehr geschätzten Kollegen. „(…) Eine triste, graue, tödliche Welt, Träume ohne Substanz, Altern ohne die entsprechende Reife: Das ist die Welt von Yates, und sie ist nicht schön.“ Einige Kritiker vergleichen Yates mit Kafka: Je mehr sich Kafkas Personen aufgelehnt hätten, desto tiefer seien sie gefallen. Andere sehen in seiner Vision von der Aussichtslosigkeit menschlichen Strebens nach Glück – der Antithese zum „American Dream“ – auch die Erklärung für Yates mangelnden Zuspruch im eigenen Land.
Literaturangaben:
YATES, RICHARD: Verliebte Lügner. Short Storys. Aus dem Amerikanischen von Anette Grube. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2007. 320 S., 19,95 €.
Verlag