Von Sara Lemel
Die quälende Angst israelischer Mütter um das Leben ihrer Söhne beim Militär beschreibt eindringlich der neue Roman des israelischen Schriftstellers David Grossman, „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“. Der persönliche Hintergrund des Buchs ist tragisch: Grossman begann den Roman im Jahre 2003 und beendete ihn nach dem Tod seines Sohns Uri während des Libanonkriegs im Sommer 2006. Der Sohn des Schriftstellers, der selbst dem linken Friedenslager angehört, hatte in den besetzten Palästinensergebieten gedient und seinem Vater oft von seinen Erlebnissen erzählt.
Der Roman ist aus der Perspektive von Ora geschrieben, deren Sohn Ofer sich zum Ende seines Militärdienstes im Westjordanland freiwillig zu einer großen Offensive der israelischen Armee im Westjordanland meldet. Aus Furcht, er könnte dabei sterben und um der schrecklichen Botschaft zu entfliehen, verlässt Ora ihr Haus und bricht zu einer Reise auf. Auf irrationale Weise glaubt sie, durch die Flucht die schlimme Nachricht und sogar den Tod selbst verhindern zu können. Sie spiegelt damit auch die Gefühle des Autors selbst gegenüber dem Militärdienst seines Sohnes wider. „Ich hatte damals das Gefühl — oder besser gesagt, den Wunsch — dass das Buch, das ich schreibe, ihn beschützen könnte.“
Der Roman zeichnet die Situation vieler israelischer Mütter nach, die ihre Söhne in die Armee und damit ins Ungewisse schicken. Ora ist auch hin- und hergerissen in ihren politischen Ansichten, zwischen der Solidarität mit den Soldaten und dem Mitgefühl für die palästinensische Bevölkerung. Eine der Szenen beschreibt ihre Seelenqualen, während ein befreundeter arabischer Taxifahrer sie und ihren Sohn zum Sammelplatz der Armee fährt.
Im Hintergrund spielt das Liebesdreieck von Ora und zwei Männern, ihrem Jugendfreund Avram, der im Jom-Kippur-Krieg selbst Soldat war, und ihrem Ex-Mann Ilan. Der Roman beginnt mit dem schicksalsträchtigen Treffen der drei — damals noch Teenager — in einem Krankenhaus während des Sechs-Tage-Kriegs.
Avram begleitet sie auf ihrer Reise, die sie auf der Flucht vor der gefürchteten Botschaft nach Nordisrael führt. Fast wie bei einer magischen Beschwörung spricht sie dabei immer wieder über den Sohn und sein Leben, als könnte sie ihn damit vor dem Tod bewahren.
Der von Anne Birkenhauer aus dem Hebräischen übersetzte Roman beschreibt, wie der blutige Nahost-Konflikt mit seinen immer wiederkehrenden Kriegen unausweichlich das Schicksal einzelner Menschen bestimmt. „Nach der Trauerwoche (für meinen Sohn) kehrte ich zu dem Buch zurück“, schilderte Grossman während eines Interviews den Entstehungsprozess des Romans. „Der größte Teil war schon geschrieben. Mehr als alles andere hat sich der Resonanzraum der Wirklichkeit verändert, in dem die letzte Version entstand.“
Literaturangabe:
GROSSMAN, DAVID: Eine Frau flieht vor einer Nachricht. Hanser Verlag, München 2009. 736 S., 24,90 €.
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