ZÜRICH (BLK) – Der Roman „Und die Nilpferde kochten in ihren Becken“ von Jack Kerouac und William S. Burroughs ist Anfang Februar 2010 in dem Verlag Nagel & Kimche erschienen. Er wurde aus dem Englischen von Michael Kellner übersetzt.
Klappentext: Eine Sensation: Die späteren Beat-Begründer William S. Burroughs und Jack Kerouac schrieben als junge Männer in New York gemeinsam einen Roman, der auch in den USA jahrzehntelang unveröffentlicht blieb. Er handelt von einem Mord, der in ihrem engsten Freundeskreis geschah. Burroughs und Kerouac beschlossen, gemeinsam einen Krimi zu schreiben im Genre des Hardboiled, im Stil eines Dashiell Hammett, und darin das Ereignis zu fiktionalisieren. Abwechselnd schrieben sie die Kapitel unter den Pseudonymen Will Dennison (Burroughs), Barmann mit Verbindungen in die Unterwelt, und Mike Ryko (Kerouac), Säufer und Seemann. Entstanden ist ein fesselnder Roman, der außerdem faszinierende Einblicke in das New York der vierziger Jahre und die damalige Boheme vermittelt.
William S. Burroughs (1914-1977) wurde in St. Louis, Missouri, geboren und absolvierte ein Studium an der Harvard Universität. Jack Kerouac (1922-1969) war ein US-amerikanischer Schriftsteller mit franko-kanadischen Wurzeln und gilt heute als einer der wichtigsten Vertreter der Beat Generation. Die beiden Schriftsteller lernten sich 1944/1945 in New York kennen und schrieben zusammen im Kapitel-Wechsel „Und die Nilpferde kochten in ihren Becken“. Jedoch konnten sie 1945 keinen Verlag finden, der es veröffentlichen wollte, da der Roman damals als „sexuell gewagt“ galt. (kör)
Leseprobe:
© Nagel & Kimche ©
Al kam wieder auf Phillip zu sprechen. Er sagte, diese neue Entwicklung sei offensichtlich eine Antwort auf den Vorfall auf dem Dach, und ich sagte: „Du hättest das gleich da oben perfekt machen sollen.“
Darauf kam Al wieder mit der alten Leier, er wolle etwas von Dauer, und ich machte mir nicht mal mehr die Mühe, mit ihm darüber zu streiten. Ich sagte: „Lass uns was essen gehen“, und wir gingen zum Center Grille an der Sixth Avenue.
Bevor ich ans Essen denken konnte, trank ich erst mal zwei Wermut mit Soda. Dann bestellte ich mir kalten Hummer. Al saß da, wirkte traurig und bestellte ein Bier und kalten Hummer. Schließlich sagte er: „Ich glaube, heute Nacht fahre ich rüber und klettere in sein Zimmer.“
Ich spie eine Hummerschere aus und schaute ihn an. „Also“, sagte ich, „das nenn ich den Stier bei den Hörnern gepackt.“
Aber Al war völlig ernst. Er sagte: „Nein, ich geh nur in sein Zimmer, während er schläft, und schaue ihn eine Zeitlang an.“
„Und wenn er aufwacht? Er wird denken, dass da irgendein Vampir über ihm hängt.“
„Ach was“, sagte Al, und es klang schicksalsergeben, „er sagt mir nur, dass ich gehen soll. Ist ja nicht das erste Mal.“
„Und was machst du da?“, fragte ich. „Stehst du einfach nur da?“
„Ja“, sagte er. „Ich gehe so nah es nur geht an ihn ran, ohne ihn aufzuwecken, und dann steh ich da bis zum Morgengrauen.“
Ich sagte Al, dass man ihn wahrscheinlich wegen versuchten Raubs verhaften oder, wahrscheinlicher noch, gleich erschießen würde. Er sprach im gleichen schicksalsergebenen Tonfall weiter: „Na ja, das Risiko muss ich eben eingehen. Ich habe mir alles angesehen. Ich kann mit dem Fahrstuhl bis ins oberste Stockwerk fahren, dann über die Feuerleiter aufs Dach steigen und dort bis drei oder vier warten. Dann klettere ich hinunter in sein Zimmer. Sein Zimmer ist in der obersten Etage.“
„Pass auf, dass du im richtigen Zimmer landest“, empfahl ich ihm, „sonst hängst du über einem völlig Fremden herum.“
„Also ich weiß schon, in welchem Zimmer er ist.“
Wir aßen auf und gingen hinaus. Wir nahmen die Independent hinunter zum Washington Square und verabschiedeten uns am Ausgang, weil wir in entgegengesetzte Richtungen mussten.
Ich ging die Bleecker Street lang, wo ein ganzes Rudel italienischer Jungens mit einem Besenstil als Schläger Baseball spielte. Ich dachte über Allens Plan nach, bei Phillip einzusteigen und ihn anzustarren. Mich erinnerte das an einen Wachtraum, den Al mir einst erzählt hatte, in dem er zusammen mit Phillip in einer unterirdischen Höhle war. Die Höhle war mit schwarzem Samt ausgekleidet und gerade mal hell genug, um Phillips Gesicht zu erkennen. In dieser Höhle steckten sie jetzt für immer fest.
Wieder in meiner Wohnung, war es noch zu früh, um schlafen zu gehen. Eine Zeitlang machte ich dies und das, legte ein paar Patiencen und beschloss dann, Morphin zu nehmen, was ich schon seit ein paar Wochen nicht mehr getan hatte.
Ich holte ein Glas Wasser und stellte es auf die Kommode, dazu einen Spiritusbrenner, einen Esslöffel, eine Flasche reinen Alkohol und etwas Watte. Aus der Schublade holte ich eine Subkutanspritze sowie ein paar Morphintabletten aus einem mit „Benzedrin» beschrifteten Arzneifläschchen. Ich teilte eine Tablette mit einer Messerklinge in zwei Hälften, maß mit der Spritze Wasser auf den Löffel ab und ließ eine ganze und eine halbe Tablette hineinfallen.
Ich hielt den Löffel so lange über den Spiritusbrenner, bis die Tabletten sich völlig aufgelöst hatten. Ich ließ die Lösung abkühlen, zog sie in die Spritze, setzte die Nadel auf und suchte an meinem Arm nach einer hervorstehenden Vene. Schließlich fand ich eine und die Nadel glitt hinein, das Blut schoss ein und wurde wieder zurückgesogen. Fast augenblicklich durchflutete mich eine Welle völliger Entspannung.
Ich räumte alles weg, zog mich aus und ging ins Bett.
Ich begann über die Beziehung zwischen Phillip und Al nachzudenken, und alle Einzelheiten, die ich in den vergangenen zwei Jahren darüber erfahren hatte, fügten sich ohne mein bewusstes Zutun zu einer schlüssigen Geschichte.
Die Beziehung zwischen den beiden ging nun schon einige Jahre, und da Al von nichts anderem redete, war ich mit den Details bestens vertraut. Ich kannte Al seit zwei Jahren und hatte ihn in einer Bar kennengelernt, wo ich damals als Barkeeper arbeitete.
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Literaturverzeichnis:
KEROUAC, JACK/ BURROUGHS, WILLIAM S.: Und die Nilpferde kochten in ihren Becken. Übersetzt aus dem Englischen von Michael Kellner. Nagel & Kimche, Zürich 2010. 192 S., 17,90 €.
Weblink: Carl Hanser Verlag