Dan Browns Roman „Das Sakrileg“ (hierzulande als „Der Da Vinci Code“ ebenso ein Beststeller wie überall sonst, wo man historische Thriller schätzt – zumal wenn sie auch noch als Film verbreitet werden) ist schon oft widerlegt worden, obwohl das Gebräu aus wenigen Fakten und zahlreichen Krimi-Phantasien solch intensive Beschäftigung eigentlich kaum verdient.
Es kommt dem populären Bedürfnis nach „Geheimnissen“ in einer weithin durchrationalisierten Gesellschaft entgegen. Nun gibt es die ultimative Abrechnung mit dieser Geschichtsklitterung. Alexandre Adler, ein französischer Historiker und Journalist (Mitherausgeber des „Figaro“) hat sie unter dem Titel „Das Geheimnis der Templer“ geschrieben.
Doch dieses Buch kommt erst ab Seite 187 wirklich zu dem, was sein Titel verspricht. Zuerst versucht der Autor nämlich viele einzelne, vor allem in Südfrankreich spielende Überlieferungen und ihre Verfasser zu „dekonstruieren“. Das ist für Leser, die sich dort nicht auskennen, eher mühsam. Denn Adler verwendet viele Druckseiten auf die mutmaßlichen Vorläufer Browns: Abbés und Bischöfe, reaktionäre Adlige, auf Schätze versessene Scharlatane und kauzige englische Historiker, aus deren Büchern sich Brown bediente.
Adler weist ihnen allesamt Fehler ohne Ende nach und entwickelt dabei in Ansätzen eine (eher wohlwollende) Kritik des „gallikanischen Katholizismus“, die für Franzosen gewiss aufregender ist als für Leser aus anderen Nationen.
Denn so entschieden er offensichtliche historische Fehler aufdeckt, so kann er es doch nicht lassen, selbst immer wieder von „Geheimnissen“ zu raunen und in Konjunktiv-Sätzen ohne Zahl die eigenen Thesen zu unterminieren. Dabei lässt er erstaunlicherweise ein paar höchst fragwürdige Legenden als vermutlich „wahr“ durchgehen, etwa die, Maria Magdalena sei nach dem Kreuzestod Christi nach Südfrankreich geflohen und habe dort missioniert.
Ihm liegt offenbar sehr daran, die theologisch verzwickte frühchristliche Auseinandersetzung zwischen einem „paulinischen“ und einem „johanneischen“ Christentum, die von der Kirche schon früh zugunsten der paulinischen Version entschieden wurde, weiterzuführen: er selbst hegt deutliche Sympathien für die unterlegene Variante. Die sieht er in zahlreichen heterodoxen Strömungen fortleben, und dies unter anderem deshalb, weil er darin ein anderes, frühchristliches Frauenbild ausmacht, das dem weiblichen Geschlecht einen größeren Spielraum innerhalb der Lehre zubilligt als es das paulinische Dekret will, nach dem Frauen in der Kirche zu schweigen haben.
Bei seiner tour d’horizont, die bei den Merowingern beginnt, spielen die Templer eine wichtige Rolle – und nach deren Ende die Rosenkreuzer und die Freimaurer. Insofern folgt Adler Browns Phantasien, auch wenn er dessen Vorstellung eines mit Maria Magdalena verheirateten Jesus samt Nachkommenschaft natürlich ablehnt.
Was der Autor zum Templer-Orden schreibt, hat freilich Hand und Fuß. Diese von Bernhard von Clairvaux gegründete Ritterkongregation hatte in der Tat dank ihrer kriegerischen Erfolge und ihrer immensen Finanzmacht großen Einfluss. Groß genug, um Philipp dem Schönen von Burgund und den Vatikan die Zerschlagung nahe zu legen. Der Burgunderherzog wollte an ihr Geld, in Rom hatte man Angst vor dem politischen Wirken und nicht ganz der theologischen Linie der Papstkirche entsprechenden Vorstellungen. Das Ende ist bekannt: der Großmeister des Ordens und seine wichtigsten Anhänger wurden nach durch Folter erreichten Geständnissen verbrannt. Kein Ruhmesblatt für die Kirche!
Worauf es Adler offenbar ankommt, ist die Darlegung der heterodoxen Ansichten der Templer – die weit weniger arg waren als die satanische Abgötterei, die man ihnen vorwarf – und nach ihrem Ende die der weiteren „Abweichungen“, die sich bis hin zur Renaissance, den Humanisten und den späteren Aufklärern gegen die Amtskirche richteten und später auch gegen die bald einsetzenden dogmatischen Verknöcherungen in den christlichen Denominationen nach der Reformation.
Adler verweist im Eilmarsch durch die Jahrhunderte unter anderem auf schon bei Karl dem Großen einsetzende Versuche, die verstreuten Juden zu schützen, auf die Katharer, eben die Templer, auf Joachim von Fiores, und Giordano Brunos Ideen, Leonardos kühle Distanz zu römischen Dogmen und viele andere esoterische, kabbalistische, rationalistische „Ketzereien“.
Er vermutet – in lauter Möglichkeitssätzen – dass das verborgene und den Protagonisten oft nicht einmal bewusste Ziel all dieser so unterschiedlichen Richtungen die erhoffte Heraufkunft eines toleranteren Christentums gewesen sei, das auch jüdische (kabbalistische) und sogar muslimische (vor allem mystisch sufistische) Traditionen aufgenommen und so ein friedliches Nebeneinander der monotheistischen Religionen ermöglicht hätte. Eben ein „johanneisches“ Christentum.
Insofern ist Adlers Templer-Buch nicht nur eine stringente Abfertigung von Browns Verschwörungstheorien, sondern auch eine Kampfschrift. Sie wird dem Vatikan so wenig gefallen wie der Roman.
Gleich zwei Übersetzer hat der seriöse C.H. Beck Verlag aufgeboten, um dieses oft kuriose, zuweilen verwirrende Buch Adlers ins Deutsche zu bringen. Das Ergebnis ist bescheiden, es schwankt zwischen einem nachlässigen Alltagsdeutsch und hölzernem, pseudowissenschaftlichem Jargon. Beides macht dies Buch nicht eben attraktiver, das neben zahlreichen, kaum kontrollierbaren Spitzfindigkeiten auch ein paar Klarstellungen und Analysen enthält, die spannend sind, wenn schon nicht so sehr wie Browns pseudohistorische Thriller-Equilibristik.
Literaturangabe:
ADLER, ALEXANDRE: Das Geheimnis der Templer. Von den Rosenkreuzern bis Rennes-le-Chateau. C. H. Beck Verlag, München 2009. 240 S., 19,90 €.
Weblink: