Große Familiensaga: „Rückkehr nach Missing“
Abraham Verghese ist ein als Kind indischer Eltern in Äthiopien geborener Autor, der in die USA auswanderte und sowohl als Arzt als auch als Autor arbeitet. Aus eigenen Erfahrungen entwarf er sein großes Epos „Rückkehr nach Missing“. In der anrührenden Familiengeschichte wachsen die beiden Zwillingsbrüder Marion und Shiva Stone als Waisen in Addis Abeba auf. Ihre Mutter starb bei der Geburt, ihr britischer Vater, ein Chirurg, verschwand. Umso enger ist die Beziehung zueinander. Beide verspüren früh ihre Berufung zur Medizin. Als junge Männer verlieben sie sich in dieselbe Frau und entzweien sich darüber. Marion flieht aus seinem unruhig gewordenen Heimatland nach Amerika und wird dort schnell ein angesehener Mediziner. Als er schwer erkrankt, sind es ausgerechnet sein Vater, der ihn im Stich ließ, und sein Bruder, der ihn betrog, denen er sein Leben anvertrauen muss. Voller Gefühl und Empathie beschreibt Verghese seine Figuren. Es sind Menschen, die am Exil leiden und sich zwischen den Kulturen zerrieben fühlen.
Mord in der Oper: „Der Winter des Commissario Ricciardi“
Autor Maurizio de Giovanni hat eine auf vier Bände — und wohl auch Jahreszeiten — angelegte Reihe mit dem reichen, adligen und melancholischen Commissario aus dem Neapel der Dreißiger geplant. Der erste Band, „Der Winter des Commissario Ricciardi“ führt ins faschistische Italien, in dem noch der Duce herrscht. Ein Opernstar, heiß bewundert von Mussolini, wird ermordet in seiner Garderobe aufgefunden. Ricciardi steht von Anfang an unter Druck. Nicht nur drängt Rom ob der Berühmtheit des Opfers auf zügige Aufklärung, der Polizist ist auch noch mit einer besonderen Gabe geschlagen, er sieht und hört die letzten Gedanken eines Menschen. So sind ihm auch die finalen Einfälle des großen Tenors im Ohr, der nicht nur ein begnadeter Sänger, sondern leider auch ein ganz mieser Charakter war. De Giovanni hat einen Kommissar erschaffen, dessen unkonventionelle Persönlichkeit neugierig auf mehr macht.
Mutter-Tochter-Drama: „Elena weiß Bescheid“
Claudia Pineiro wird im Klappentext als der Shootingstar der argentinischen Literatur gepriesen. Mit „Elena weiß Bescheid“ hat sie die düstere, schonungslose Geschichte zweier einsamer Frauen geschrieben: Elena hat Parkinson. Rita, ihre Tochter, Mitte 40 und unverheiratet, lebt mit ihr zusammen und muss sich neben ihrer Arbeit mehr und mehr um die Mutter kümmern. Ihr eigenes Leben bleibt auf der Strecke. Besonders liebevoll war ihre Beziehung nie, die Krankheit belastet sie noch weiter. Eines Tages kommt es zur Katastrophe: Rita wird erhängt im Glockengestühl einer Kirche gefunden. Ihre Mutter verweigert sich dem Offensichtlichen, dass ihre Tochter Selbstmord begangen hat. So macht sie sich trotz ihrer Gebrechlichkeit, voll gepumpt mit Tabletten, auf, um den imaginären Täter zu suchen.
Rückkehr zu den Wurzeln: „Überm Rauschen“
Norbert Scheuer wurde mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet. Mit seinem neuen Werk „Überm Rauschen“ legt er eine metaphernreiche Erzählung über die Rückkehr eines Mannes in die Landschaft seiner Kindheit, die Eifel, vor. Der Fluss, der an seinem ehemaligen Elternhaus vorbeizieht, lässt ihn an seine Vergangenheit denken — an seine erste Liebe, an die vielen Gäste, die sie in der Gastwirtschaft der Eltern bewirteten, an das gemeinsame Fischen mit seinem Vater, an das Aufbäumen seines älteren Bruders. Es sind frohe, unbeschwerte und traurig stimmende Bilder. Auch der Fluss, an dem er steht, hat sich verändert, wird zur Allegorie für das gesamte Leben: Unaufhaltsam fließt er dahin, auch wenn sein Wasser schmutziger, sein Fischbestand anders geworden ist. Ein ruhiger, unaufgeregter und gerade deshalb eindringlicher Text.
Literaturangaben:
VERGHESE, ABRAHAM: Rückkehr nach Missing. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2009. 757 S., 24,80 €.
GIOVANNI, MAURIZIO DE: Der Winter des Commissario Ricciardi. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 246 S., 7,95 €.
PINEIRO, CLAUDIA: Elena weiß Bescheid. Unionsverlag, Zürich 2009. 187 S., 16,90 €.
SCHEUER, NORBERT: Überm Rauschen. C. H. Beck Verlag, München 2009. 167 S., 17,90 €.
Weblinks:
Insel Verlag / Suhrkamp Verlag / Unionsverlag / C. H. Beck Verlag