Von Tobias Roth
Im weiteren Sinne pornographische Literatur hat es schwer: Zu schnell wird sie von Pornographie im engeren Sinne überschrieen. Dass sich auch der ewige Vorrat deutscher Poesie expliziter Sprache bedient, ist da so altbekannt wie kaum zur Kenntnis genommen: Die Animositäten zwischen Kultur und Körper zeitigen auch hier einen Diskurskrampf. Der erste, sich der Volksliteratur widmende Teil einer auf drei Bände angelegten Anthologie bei Walde+Graf könnte da aufschlussreich und vermittelnd sein, wie es das (unberedte) Vorwort hoffen lässt, das von einer „historisch orientierten Anthologie“ spricht.
Dieser Schein trügt. Das Buch überzeugt weder durch literarische Qualität noch durch sorgfältige Edition. Kein Wort zur Textgrundlage. Auf Glossar und Nachwort wurde ausdrücklich verzichtet; als wäre dem seit Oswald Wieners „Beiträgen zur Ädöologie des Wienerischen“ nichts mehr hinzuzufügen. Texte aus drei Jahrhunderten werden angekündigt, obwohl die kleine, funktionsarme Bibliographie kaum ins 19. Jahrhundert reicht, und sich z.B. auch Stücke einer spätmittelalterlichen (anbei: von Rosmarie Leiderer 1972 edierten) Minnerede finden - all das kommt unkommentiert in den chronologischen Brei „Volksdichtung“. Was ohne die editorische Arbeit bleibt, ist ein mageres Coffee Table Book.
Soviel zur Philologie: und die Erotik? „Hast du Kummer in der Liebe / schalte um auf Handgetriebe.“ Mehr als kurzes Kichern ist da nicht zu holen. Nicht zu denken an das Qualitätssiegel einer Anzeige, das etwa die sprachlich-suggestive Kraft der „Josefine Mutzenbacher“ oder Arno Schmidts belohnte. Gestaltung charakterisiert Themen - hier: leider.
Auch wenn sich zuweilen hübsche Strophen finden, lässt en gros die sprachliche Fassung den dargestellten Sex wenn überhaupt, so nicht erstrebenswert erscheinen; man denkt zu oft: „Er begattete sie auf irgendeine altfränkische gottvergessene Methode.“ (Schmidt). Dem Leser überlasse ich die Einschätzung, wie sich das alles zur Ankündigung erotischer Literatur verhält.
Literaturangabe:
FISCHER, ANDREAS (Hg.) u.a.: Einmal eins ist eins, steck dein Ding in meins. Volkserotische Lyrik. Walde+Graf, Zürich 2010. 260 Seiten, 19,95 €.
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