Thomas Völkner
Alexander Berger hat Erfolg. Er ist Chefredakteur einer Boulevardzeitung mit dem Titel „Guten Tag“, die Auflage macht und Gewinn abwirft. Er setzt Themen, erzeugt Skandale und fährt Kampagnen. Nun hätte Alexander Berger – wie könnte es anders sein – gerne noch mehr Erfolg. Er giert förmlich nach Katastrophen, die sich im Stil der Yellow Press auswalzen lassen, und er sucht die Nähe zu prominenten Politikern, in deren Glanz er sich sonnen kann.
Gleichzeitig muss Berger auf der Hut sein: Vor seinem Verleger, der zwar jovial auftritt, ihm jedoch zu verstehen gibt, dass er an der Auflage gemessen wird und dass andere, gleichermaßen fähige wie hungrige Redakteure in der zweiten Reihe stehen und auf ihren Karrieresprung hoffen. Vor zwielichtigen Informanten. Vor Menschen, die zu Opfern seines Kampagnen-Journalismus geworden sind. Und vor seiner eigenen Vergangenheit. Es kommt, wie es kommen muss: Alexander Berger begeht einen Fehler. Er nimmt die Story über ein vermeintliches Islamisten-Video ins Blatt, in welchem ein Attentat in der Bundesrepublik angekündigt wird. Damit provoziert er den Widerspruch von Politikern und konkurrierenden Medienmachern. Eine Kampagne beginnt – dieses Mal gegen Berger selbst.
Dass der Drang mancher Journalisten, am politischen Spiel beteiligt zu sein und die Richtung der öffentlichen Diskussion mitbestimmen zu wollen, beinahe zwangsläufig zu hässlichen Konflikten führt, zeigt auf eindrucksvolle und unterhaltsame Weise der Kurzroman „Guten Tag“. Der in Warschau ansässige Journalist und Hörfunkautor Stefan Meetschen erzeugt darin ein gelungenes Bild von den Verhältnissen und Stimmungen in einer Großredaktion. Meetschens mit großer Leichtigkeit daherkommender Stil und sein lakonischer Grundton machen die Lektüre des Textes zu einem kurzweiligen Vergnügen.
Wer behält am Ende Recht? Alexander Berger, der seine Fehler verdrängt und allzu leichtfertig über die Folgen der Berichterstattung in seinem Blatt hinweg sieht? Seine neue Praktikantin, die ihn mit beinahe missionarischem Eifer auf ein verantwortungsbewusstes Handeln einschwören will? Seine Frau, von der er sich entfremdet hat, oder seine Ex-Freundin, die ihm die Position in der Redaktion streitig macht? Die Politiker, die ihn mal umgarnen, mal zappeln lassen? Und wer hat Recht in der Frage nach der Echtheit des Islamisten-Videos?
Stefan Meetschen holt in „Guten Tag“ keineswegs zur großen, mit erhobenem Zeigefinger vorgetragenen Medienschelte aus. Was seinen Text ausmacht, ist die Beiläufigkeit der Ereignisse. Ehe man sich versieht, lernt man etwas über die Menschen im Medienbetrieb und deren Abhängigkeiten – den gegenseitigen Abhängigkeiten wie denen von der Welt, die sie eigentlich so neutral wie möglich beschreiben und einordnen sollten. Ein bisschen schlauer und abgeklärter als zuvor lässt sich die unweigerliche, rasante Abwärtsspirale und der gewaltige Showdown dieser seltsam heiter-düsteren Geschichte ertragen.
Literaturangabe:
MEETSCHEN, STEFAN: Guten Tag. Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2009. 142 S., 12,80 €.
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