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Vom Ende des Endes der Kunst

Wilfried Dickhoffs Kunstkritik „Das Zuvorkommende“

© Die Berliner Literaturkritik, 15.07.09

Wilfried Dickhoff, Jahrgang 1953, muss eine enorme Betriebstemperatur haben. Der Theoretiker, Verleger, Herausgeber und Kurator dringt mit einer unglaublich breiten Produktion in allen diesen Tätigkeitsbereichen in die zeitgenössische Kunst ein. Mehrere Bücher hat er in den letzten 25 Jahren vorgelegt, mehr als hundert Künstler-Monographien herausgegeben, dazu Redaktionen geleitet, eine Buchreihe bei Kiepenheuer & Witsch betreut — und außerhalb der Buchstabenwelt auch Ausstellungen kuratiert und Lehraufträge beidseits des Atlantik innegehabt. Und wie nebenher leitet er seit 2002 noch den „Verlag Wilfried Dickhoff“.

Wenn solch ein Gegenwartsbewanderter ein Buch mit dem Untertitel „Eine Kunstkritik“ vorlegt, darf man auf eine Innenansicht gespannt sein — und man wird auch darin nicht enttäuscht. Allerdings wird in dem schmalen Bändchen „Das Zuvorkommende“ nicht aus dem Nähkästchen geplaudert, sondern es geht ans theoretisch Eingemachte, ans Grundsätzliche. Der Essay (als Essay durchaus von Länge, als Buch sehr kurz) eröffnet sich als Streitschrift von einigem Furor. Der Beginn spricht in gewaltig rollenden Perioden ein donnerndes Verdikt über die zeitgenössische Kunst: sie sei nur „[...] Tochterfirma der Erlebnisindustrie, mystifizierende Inthronisierung des Künstler-Ichs, Bildlieferant für Habitusmärkte, Popanz der sogenannten Kreativen [...]“, so lautet nur ein Ausschnitt aus einer erbosten Kette von Nominalgruppen.

In diesem kunstumspannenden Globus der kapitalisierten Niedertracht versucht Dickhoff das Schlupfloch ausfindig zu machen, die rettende Bresche zu finden. Diese Bresche entpuppt sich, um im Bild zu bleiben, als das Breschen-Schlagen selbst, und eben das erscheint „inmitten lückenloser Immanenz“ als das Unmögliche. Unmöglich scheint es, dass eine unfreie Kunst Momente der Freiheit formuliert, aber genau diese Kunst sei es, die „mit dem Ende der Kunst ein Ende macht“. Über den Begriff der Unmöglichkeit kommt Dickhoff mit einer Volte Derridas auf die Verantwortung und die ethischen Aspekte der Kunst. Vielleicht lassen sich von hier aus zwei Kernthesen aus dem Essay extrahieren, die im Essay allerdings in umgekehrter Reihenfolge erscheinen: „ Eine verantwortliche Entscheidung ist demnach [...] eine Unterbrechung der bloßen Anwendung von Möglichkeiten innerhalb herrschender Ordnungen. Wer eine Entscheidung fällen will, wer eine Verantwortung übernehmen will, muss also diese brechen, ablenken, unterlaufen, unterscheiden, differenzieren — das heißt, das Unmögliche erfinden.“ und „Kunst heute entscheidet sich an ihrer Beziehung zum Unmöglichen, unter anderem zum Unmöglichen des Werks als befreites Subjekt.“

Wie aber kann eine solche Kunst aussehen? Gibt es sie vielleicht schon in Werken der Kunst? Dickhoff geizt mit Beispielen, er gibt nur eines: Décor von Marcel Broodthaers, einer Installation aus dem Jahr 1975, die, wie der Leser umgehend belehrt wird, keine Installation ist, sondern „ein nicht identisches Museum innerhalb eines institutionellen Museums“. So weit, so gut. Problematisch wird es nun an den Schnittstellen zwischen der Interpretation von Décor und den Betrachtungen, die sie umgeben, denn sie werfen kein Licht aufeinander. Die verführerische Kraft, die vom Konzept einer Kunst des Unmöglichen ausgeht, hilft nicht über das Problem hinweg, zu unterscheiden, welches Kunstwerk dazu zu zählen sei: woran ich also nach Dickhoffs Kriterien Kunst erkenne, da bekanntermaßen „ein einzelnes Werk glücklicherweise immer einen komplexeren Status hat als die Gattung, der man es zuordnet.“ (Genette)

Hingegen beachtlich ist die Vielzahl der Definitionssätze, die mit „Kunst ist“ oder „Kunst machen heißt“ beginnen aber in ihrem Inhalt schließlich zu lyrisch für eine essayistische Erkenntnis und zu prosatechnisch für ein lyrisches Erkennen bleiben. Zudem stellt sich, je enger sich die Bestimmungen um das Unmögliche und das Interessante als die Angelegenheit der Kunst schließen, das unangenehme Gefühl ein, dass die „globalkapitalistische Spektakelkultur“ in der Kunst nicht verneint, sondern überboten werden soll durch den „Augenblick der Faszination“ vor dem visionären Kunstwerk. Das ist ein bitterer Punkt, dessen Bitterkeit kaum angesprochen wird, dass jegliches Vorgehen gegen die Verkaufbarkeit des Ereignisses, jeglicher Artikulationsversuch gegen den „Spektakeleffekt“ selbst Ereignis und Spektakel sein muss, um bemerkt zu werden und (mit etwas Luhmann) als Kunstwerk überhaupt da zu sein. Oder in Dickhoffs Gleichnis: Wer glaubt, „das Foyer einer Bank sei nicht der Ort der Kunst, weil sie dort zur Dekoration der Macht, zur Affirmation des Status quo schlechter Verhältnisse wird, übersieht, dass es seit langem kein Außerhalb von Bankfoyers mehr gibt.“ Das ist leider sehr gut gesagt.

Wie steht es nun um die Bresche im Bankfoyer? Passen durch diese Bresche nur Gedanken, oder eben auch Kunstwerke? Man bekommt das Gefühl, als könne man optimistisch bleiben. Aber auf dem Laufband einer Sprache, die sich in Abstraktionen x-ter Ordnung flink bewegt, bekommt man kaum mehr einen konkreten Fuß auf den Boden. Man kann sich so des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass hinter der durchgehenden Formel, Kunst sei/stifte „immanente Differenz“, bzw. strahle „im Glanz immanenter Differenz eine Transzendenz-Immanenz-Spannung aus“, eine Umschreibung des guten, alten je ne sais quoi im zeitgenössischen Theoriejargon steckt: und dieses Unnennbare hat uns ja noch immer gerettet. Immer mehr kommt Dickhoff schließlich auf die kassandrische Vision als Emblem dieser gesuchten, immer ausstehenden und zuvorkommenden Kunst zu sprechen, gibt der Kunst einen „messianischen Zug“, wo er sie zu Beginn noch als „Religionsersatz“ abwertete. Aber es steigt die Zuversicht, je enger sich die Gedanken um den unnennbar blinden Fleck ziehen. Aus ihm tritt ein Paradox zu Tage, eine schiere Unmöglichkeit, in deren erstaunender Einlösung die Kunst alle Tochterfirmen der  Erlebnisindustrie hinter sich lässt. „Aber ist diese Selbstüberforderung der Kunst nicht eine Möglichkeitsbedingung ihres Hoffnungshorizonts? Ich denke ja.“

Von Tobias Roth

Literaturangabe:

DICKHOFF, WILFRIED: Das Zuvorkommende. Eine Kunstkritik. Diaphanes Verlag, Zürich 2009. 64 S., broschiert, 6 €.

Weblink:

Diaphanes Verlag


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