„Gottes Rambo“ ist weniger als literarischer Text zu betrachten, denn es handelt sich um den ersten Auszug aus dem Tagebuch des Dänen Helge Meyer. Dieser ist ein Soldat der traditionellen (amerikanischen) Schule, was bedeutet, dass er nicht nur diverse Kampf- und Geheimdienstausbildungen genossen hat, sondern auch den klassischen, beinahe stereotypen Elitesoldaten per se verkörpert. Nach außen hin ist Meyer ein harter Hund, er genießt das Drillen anderer Soldaten und auch die Zuneigung von diversen Frauen (selbstverständlich hat er in jedem Hafen eine). Doch innerlich zeigt er eine tiefe Verbundenheit zur Bibel und zu seiner Familie. Um seine Kenntnisse und Fähigkeiten sinnvoll einsetzen zu können, beschließt Gottes Rambo noch zu Beginn des Balkankrieges, Hilfsgüter nach Kroatien zu transportieren. Natürlich tut er dies nicht mit irgendeinem Gefährt, sondern mit seinem durch die US Army entsprechend aufgemotzten (War) Camaro.
Dieser von Tanja Kürten herausgegebene „erste Auszug aus dem Kriegstagebuch“ Meyers erscheint jedoch mehr wie eine etwas unsortierte Einleitung zur Mission auf dem Balkan. Gespickt mit unzähligen Fotos aus Meyers Privatarchiv wird der Leser zunächst ein wenig in den Alltag des Helden auf der Rhein-Main Air Base, einem amerikanischen Stützpunkt in Süddeutschland, eingeweiht. Es folgt ein Kapitel über die Tätigkeit Meyers als Drillinstruktor in Dänemark und auch eine sehr ausführliche Beschreibung seiner Liaison mit der Marinesoldatin Sue bleibt nicht aus, bis Meyer sich endlich auf den Weg nach Kroatien macht.
Wie nebenbei wird er dabei auch für Spionagetätigkeiten des BND eingespannt – im Gegenzug für weitere Hilfsgüter. Insgesamt werden zwei Reisen in das kroatische Kriegsgebiet geschildert, darunter einige heikle und sehr gefährliche, aber auch romantische Situationen, in die der Held gerät. Unüberlesbar wird dabei stets die innere Zerrissenheit Meyers hervorgehoben, die im Wesentlichen auf seinem schlechten Gewissen gegenüber seiner Frau beruht, der er die gefährlichen Fahrten in den Balkan verschweigt. Jedoch fehlt jegliche Entwicklung des Menschen Meyer von einem, nennen wir es liebesbedürftigen Soldaten, der seinen mormonischen Freund nicht ernst nimmt und jedem Rockzipfel hinterherschaut, zu dem Titelhelden „Gottes Rambo“. Urplötzlich, so scheint es, ist die Bibel Meyers wichtigstes Attribut, insbesondere, als er in das Krisengebiet aufbricht.
Unter Soldaten hat Emotionalität sowieso eine eigene Sprache, nämlich eine, die zwischen den Zeilen stattfindet. Man fragt da nicht „Hey, wie geht es dir?“ oder „Bist du aufgeregt?“. Nein, unter echten Kerlen fragst du so was wie „What kind of weapon do you have?“. Das ist der Grad der Anteilnahme, der zulässig ist. „Meine Antwort darauf war“, so Meyer, „meine Bibel. Keine Handfeuerwaffen, keine Handgranaten, nichts dergleichen. Meine einzige Waffe ist die Bibel, ich vertraue mehr auf sie als auf Waffengewalt.“
Der Text endet relativ abrupt mit persönlichen Worten voller Liebes- und Glaubensbekundungen des Verfassers an seine Frau und seinen Sohn. Denn leider kommt der eigentliche Einsatz in Kroatien, gemessen am Umfang des Buches oder an der Ausführlichkeit des Kapitels über die Affäre mit Sue, relativ kurz. Insgesamt behandeln nur zwei von neun Kapiteln das eigentliche Thema. Diese heißen im Übrigen bezeichnenderweise „Sprachunterricht mit der AK 47“ und „Doppeltes Spiel“.
So eindrucksvoll diese letztendlich dann sind, allein schon durch die Tatsache, dass die beschriebenen Gegebenheiten einen realen Hintergrund haben und dies mit den wirklich zahlreichen Bebilderungen noch einmal hervorgehoben wird, bleiben der emotionale Faktor und die Ergriffenheit, die der Text angesichts seines Themas hervorrufen sollte, relativ bemessen. Schließlich wird hier nichts sentimentalisiert, das genaue Gegenteil ist der Fall: Ist man als Leser zusammen mit Meyer unterwegs im War Camaro, bleibt keine Zeit für Säuseleien oder ausschweifende innerliche Auseinandersetzungen mit den Kriegsgeschehnissen und ihren Opfern. Von diesem Standpunkt aus betrachtet, ist „Gottes Rambo“ bezüglich seines Aufhängers, also des Balkankonfliktes, recht oberflächlich geraten.
Das Kriegstagebuch enthält keine ausführlichen Situationsbeobachtungen oder philosophisch anmutenden Kommentare des Erlebten. Auch ist keine klare Struktur erkennbar; der Text wirkt zum Teil etwas zusammenhanglos, was die Chronologie und Kausalitäten und auch, wie bereits angemerkt, was gewisse Entwicklungen des Erzählers betrifft. Gleichzeitig bleibt Meyer durch seine Personifikation des Typus „harte Schale/weicher Kern“ konsequent sich selbst treu. Ein zweiter Teil des Tagebuches ist zum Jahresende angekündigt und lässt auf eine Fortsetzung des Einsatzes in Kroatien und damit verbundene, tiefer gehende Eindrücke hoffen. Eine Verfilmung des Stoffes ist laut Informationen des Verlages bereits in Planung, eine amerikanische Co-Produktion böte sich durch den abgebrühten Tenor des Buches förmlich an.
Angesichts der Tatsache, dass es auch fast 15 Jahre nach Ende des Balkankrieges kaum Literatur zu dieser Thematik gibt, die nicht von Autoren aus dem ehemaligen Jugoslawien stammt, ist dieser Text ein wichtiger Beitrag, um eine von vielen Wissenslücken zu schließen über einen Krieg, der so nah und doch so fern vom restlichen Europa stattgefunden hat. Die Spuren des Krieges und der Kriegsverbrechen sind bis heute sichtbar und noch längst nicht in ihrem vollen Umfang aufgearbeitet. Das schlechte Gewissen Europas zeigt sich leider nur begrenzt – circa alle vier Jahre, wenn Serbien erneut an die Türen der EU klopft und zufällig zu diesem Zeitpunkt einen untergetauchten Kriegsverbrecher gefasst hat. Ein Stück von Gottes Rambo in jedem von uns erweist sich daher als erstrebenswertes Ziel.
Von Karolina Szczepanska
Literaturangabe:
KÜRTEN, TANJA: Gottes Rambo. Unterwegs im War Camaro. Commander Verlag, Bremen 2009. 267 S., 19,95 Euro.
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