MÜNCHEN (BLK) – Im Droemer Verlag ist im März 2011 der neue Roman von Vanessa Diffenbaugh unter dem Titel „Die verborgene Sprache der Blumen“ herausgekommen. Das Buch wurde von Karin Dufner aus dem Amerikanischen übersetzt.
Klappentext: Aufgewachsen in einer lieblosen Umgebung, ohne Familie und ohne Zuhause, hat die junge Victoria vor allem eines gelernt: von Menschen Abstand zu halten. Ihr Herz öffnet sie einzig den Blumen. Mit ihrer Hilfe teilt sie sich einer Welt mit, die ihr nicht zuhört. Bis sie dem Mann begegnet, der ihre Sprache versteht ...
Vanessa Diffenbaugh ist Kunsterzieherin und Schriftstellerin. Sie ist 32 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Kinder. Sie ist nicht nur künstlerisch, sondern auch sozial sehr engagiert. Diffenbaugh weiß, wovon sie schreibt: Sie hat bereits mehrfach Pflegekinder in ihre Familie aufgenommen und über längere Zeit betreut. Sie lebt mit ihrer Familie in Boston.
Leseprobe:
©Droemer©
1.
Acht Jahre lang hatte ich von Feuer geträumt. Bäume loderten auf, wenn ich an ihnen vorbeiging, und Ozeane brannten lichterloh. Im Schlaf sickerte der süßliche Rauch in mein Haar ein. Beim Aufwachen lag der Duft dann wie eine Wolke auf meinem Kopfkissen. Dennoch schreckte ich hoch, als meine Matratze Feuer fing. Der scharfe Geruch nach Chemikalien hatte nichts mit dem dunstigen Sirup meiner Träume gemeinsam, vielmehr unterschied er sich davon wie Jasmin aus Indien von dem aus Carolina – wie Trennung von Nähe. Unmöglich, sie miteinander zu verwechseln.
In der Mitte des Zimmers stehend, erkannte ich rasch, woher das Feuer kam. Einige Streichhölzer lagen, ordentlich in Reih und Glied, am Fußende meines Bettes. Als ein Streichholz nach dem anderen in Flammen aufging, verwandelte sich die Kette in einen glühenden Lattenzaun entlang des gepaspelten Matratzenrandes. Während ich ihm beim Brennen zusah, empfand ich eine Todesangst, die nicht von der Größe der fl ackernden Flammen herrühren konnte. Einen lähmenden Augenblick lang war ich wieder zehn Jahre alt und so verzweifelt und hoffnungsfroh, wie ich es noch nie zuvor gewesen war und auch nie wieder sein würde.
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Allerdings flammte die nackte Matratze aus synthetischem Material nicht auf wie die Disteln in jenem späten Oktober. Sie schwelte nur vor sich hin, und schließlich ging das Feuer aus.
Es war mein achtzehnter Geburtstag.
Die Mädchen hatten sich im Wohnzimmer nebeneinander auf dem durchgesessenen Sofa niedergelassen. Ihre Blicke glitten über meinen Körper und blieben an meinen nackten, unversehrten Füßen hängen. Eine wirkte erleichtert, eine andere enttäuscht. Wenn ich noch eine Woche geblieben wäre, hätte ich mir wohl jedes Mienenspiel gut eingeprägt und mich mit rostigen Nägeln in Schuhsohlen und Kieselsteinchen in Chiliportionen gerächt. Einmal hatte ich einer schlafenden Zimmergenossin das Ende eines glühenden Drahtkleiderbügels an die Schulter gehalten, und zwar wegen eines weitaus geringfügigeren Vergehens als Brandstiftung.
Doch ich würde in einer Stunde fort sein. Das wussten die Mädchen. Jedes von ihnen.
Ein Mädchen, das in der Mitte der Couch gesessen hatte, erhob sich. Sie sah jung aus – fünfzehn, höchstens sechzehn – und war in einer Weise hübsch, wie ich es nur selten gesehen hatte: gute Haltung, reine Haut, neue Kleider. Ich erkannte sie nicht sofort, aber die Art, wie sie sich, mit angezogenen Armen und energisch, durch das Zimmer bewegte, kam mir vertraut vor. Obwohl sie gerade erst eingezogen war, war sie keine Fremde für mich; mir fi el ein, dass ich schon einmal mit ihr zusammengewohnt hatte, in den Jahren nach Elizabeth, als ich besonders zornig und aggressiv gewesen war.
Wenige Zentimenter vor mir blieb sie stehen, ihr Kinn ragte in den Raum zwischen uns.
„Das Feuer war von uns allen“, sagte sie ruhig. „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.“
Hinter ihr wand sich die Mädchenreihe auf dem Sofa. Eine Kapuze wurde aufgesetzt, eine Decke fester um die Schultern gezogen. Die Morgensonne beschien geschlossene Augenlider, und die Mädchen sahen plötzlich jung und wie Gefangene aus. Aus einer betreuten Wohngemeinschaft wie dieser entkam man nur durch Weglaufen, Volljährigwerden oder indem man in einer Anstalt landete. Jugendliche über vierzehn wurden nicht mehr zur Adoption vermittelt und kehrten in den seltensten Fällen, wenn überhaupt, nach Hause zurück. Diese Mädchen kannten ihre Zukunftsaussichten. In ihren Augen stand nichts als Angst: vor mir, vor ihren Hausgenossinnen und vor dem Leben, das sie sich selbst eingebrockt hatten oder in das sie hineingeboren worden waren. Zu meiner Überraschung überkam mich plötzlich Mitleid mit ihnen. Ich konnte gehen, sie aber waren gezwungen zu bleiben.
Als ich mich an dem Mädchen vorbei zur Tür vordrängen wollte, machte sie einen Schritt zur Seite und versperrte mir den Weg.
„Mach Platz“, befahl ich.
Eine junge Frau, die Nachtschicht hatte, steckte den Kopf aus der Küchentür. Sie war wahrscheinlich noch keine zwanzig und fürchtete sich mehr vor mir als die Mädchen im Zimmer.
„Bitte“, meinte sie mit flehender Stimme. „Es ist ihr letzter Vormittag. Lass sie einfach in Ruhe.“
Ich wartete, auf alles gefasst, während das Mädchen vor mir den Bauch einzog und die Fäuste fest ballte. Nach einem kurzen Moment schüttelte sie den Kopf und wandte sich ab. Ich ging um sie herum.
Ich hatte noch eine Stunde, bis Meredith mich abholen würde. Ich öffnete die Eingangstür und trat hinaus. Es war ein nebliger Morgen in San Francisco. Der Betonboden der Veranda fühlte sich unter meinen nackten Füßen kühl an. Nachdenklich blieb ich stehen. Eigentlich hatte ich eine Retourkutsche für die Mädchen geplant, etwas Kränkendes und Hasserfülltes. Aber ich war seltsam nachsichtig gestimmt. Vielleicht lag es daran, dass ich nun achtzehn war und mit einem Schlag alles ausgestanden hatte, jedenfalls konnte ich ihnen ihren üblen Streich verzeihen. Deshalb wollte ich ihnen, bevor ich ging, etwas mitteilen, das die Angst aus ihren Augen vertrieb.
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Literaturangabe:
DIFFENBAUGH, VANESSA: Die verborgene Sprache der Blumen. Aus dem Amerikanischen von Karin Dufner. Droemer Verlag, München 2011. 416 S., 19,99 €.
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