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Von Liebe, Sex und anderen Krankheiten

Wie Alt-68er und ihre Kinder über Liebe und Sexualität denken

© Die Berliner Literaturkritik, 02.06.12

Dieser Text erschien erstmals am 23. November 2005 in diesem Literaturmagazin.

LOVENBERG, FELICITAS VON: Verliebe dich oft, verlobe dich selten, heirate nie? Die Sehnsucht nach der romantischen Liebe. Droemer Verlag, München 2005. 304 S., 18,- €.
STEINER, ADOLF A.: Dialog mit Kilian. 68er-Roman über die Sexualität als natürliche Grundlage der Erziehung. Literareon im Herbert Utz Verlag, München 2005. 296 S., 22,20 €.

Von Jenny Schon

Irgendwie müssen wir sie nicht mehr alle haben, dass wir überhaupt noch Partner suchen, Kinder machen und dazu gar Sex haben wollen. Auch ich bin so eine. Komme aus den Achtundsechzigern und suche sie immer noch: die romantische Liebe. Denn aus genau diesem Grund bin ich dem Titel verfallen: „Verliebe dich oft, verlobe dich selten, heirate nie?“ Das habe ich praktiziert. In den Wohngemeinschaften der siebziger Jahre ging es heiß her. Kinder habe ich keine, die lebten mit uns, von anderen gezeugt und geboren. Die biologischen Eltern waren nicht wichtig, wir WG-Mitglieder waren soziologische Eltern. Dass das nicht klappte, brauche ich nicht zu erwähnen.

Dann wuchsen uns diese Kinder über den Kopf und wollten genau das Gegenteil. So ein Wesen scheint die Autorin des genannten Titels zu sein, Felicitas von Lovenberg, Redakteurin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, und ich gebe es zu, nur deswegen das Buch gelesen zu haben, und auch das gebe ich zu, auch wegen des Untertitels „Die Sehnsucht nach der romantischen Liebe“. Frau von Lovenberg ist eine eloquente Frau, weltgewandt und locker. Jedenfalls vermittelt das ihr Stil. Aber in ihrer Haut möchte ich nicht stecken. Sie hatte sich erfolgreich scheiden lassen und deshalb zur Feder greifen müssen, uns dieses Erfolgsrezept mitzuteilen. Nur zur Erinnerung: Vierzig Prozent der studierten Frauen sind Singles. Nichts kommt von Nichts.

Nicht mehr 68, noch nicht cool

Wir hatten zwar auch so mit Twiggy unser Korsett der Etikettierung, und mussten auch einiges überspielen, hatten dafür aber noch nicht den absolut passenden Begriff: cool. Jede weitere Debatte ist damit ausgeschlossen. Die Generation der Frau von Lovenberg (Jahrgang 1974) ist nicht mehr 68 und noch nicht cool, also wirklich nicht zu beneiden. Wer da so alles mit wem und warum und meist auch nicht und wieso die und nicht der am besten, die Ehe zu dritt kann glücklich machen aber auch nicht, immer mein Gott und das am Schluss: „Die ideale Beziehung: Endstation Sehnsucht“, also doch...

Woher sie nur weiß, dass ich trotz meines Alters noch immer und immer noch, ach was, das hat sie aus den gleichen Zeitschriften, die wir Frauen schon seit Generationen lesen, die „Brigitten“ und „Freundinnen“ und „Galas“ für alle Fälle, natürlich lesen wir nicht „Frau im Bild“, denn für die Unterschicht hat Frau von Lovenberg das Buch nicht geschrieben, und auch nicht für Männer, dazu hat es zu viele Seiten (303). Es ist wie die meisten Bücher dieser Art überflüssig, aber wir Frauen lesen nun mal zu gerne, sind süchtig nach Lettern. Es ist zudem ein sprühendes Feuerwerk an Sprüchen und Einsichten, und wie jedes Jahr Silvester ist, so greifen wir nach den Büchern, die das erzählen, was wir immer noch nicht glauben wollen: Eines Tages wird er vor uns stehen, uns die Hand galant küssen und sagen „Auf Sie, Madame, nur auf Sie habe ich ein Leben lang gewartet!“

The same procedure as every year, James!“ Oh Miss Sophie, wir lieben dich dafür.

Hausbackenes vom Alt-68er

Ganz anders ein Schweizer Achtundsechziger, Adolf A. Steiner, Lehrer, und immer noch bemüht, jungen Leuten repressionsfreien Sex beizubringen. Er nennt sein Buch „Dialog mit Kilian“ im Untertitel „68er Roman über Sexualität als natürliche Grundlage der Erziehung“.

Wie natürlich die Grundlage ist, können wir seit Rousseaus Zeiten nicht mehr genau bestimmen, denn seine natürlichen Folgen, Rousseaus Kinder, waren keineswegs zu beneiden. Nun ist Steiners Buch alles andere als ein Roman, es ist auch kein Erfahrensbericht, obwohl viel Berichtmaterial aus dem Schweizer Alltag einfließt. Es ist für uns großstädtische Zeitgenossen alles ein wenig hausbacken und gequält. Ich will nicht glauben, dass es noch immer große Probleme gibt, wenn Marion mit ihrer Freundin ins Bett geht, oder dass Mädchen drumrumreden, wenn sie ihre Periode bekommen. So was zeigen die europäischen Fernsehprogramme rund um die Uhr.

Auch wenn ich als ehemalige Achtundsechzigerin froh bin, dass der antiautoritäre Spuk jetzt mit den letzten Abdankungen der Politiker zuende sein wird, ein bisschen weiter habe ich uns doch gewähnt in den zwischenmenschlichen Beziehungen, offener, freier und emanzipierter. Aber jede Generation muss das wohl für sich immer wieder neu erleben. Das ist, um die Worte des Regierenden Bürgermeisters von Berlin wieder mal zu strapazieren, auch gut so! Welch eine Weisheit...

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