Von Thomas Maier
FRANKFURT AM MAIN (BLK) – Bertolt Brecht, Hermann Hesse oder Max Frisch: Die Frankfurter Goethe-Universität lädt regelmäßig zu „Hauslesungen“ über die Entstehung der großen Romane der berühmtesten Autoren der Nachkriegszeit ein. Den Fundus dafür liefert die Hochschule selbst. Seit 2003 beherbergt die Universität mit dem Nachlass von Peter Suhrkamp eines der bedeutendsten literarischen Archive der Moderne. Die Hinterlassenschaften des legendären Verlegers, dessen Todestag sich am 31. März zum 50. Mal jährt, umfassen rund 250.000 Blätter: Darunter sind Manuskripte und die gesamte Korrespondenz mit den großen Autoren des Verlags wie Brecht und Hesse.
Suhrkamp gehörte in den 1950er Jahren zu den prägenden intellektuellen Figuren der jungen Bundesrepublik, die nach der tiefen Erschütterung durch die Nazi-Zeit auf der Suche nach einem neuen Fundament war. 1950 gründete Suhrkamp, ein fanatischer Büchermacher, in Frankfurt den nach ihm benannten Verlag. Die „Suhrkamp-Kultur“ wurde dann unter seinem Nachfolger Siegfried Unseld zum Synonym für anspruchsvolle und auch wirkungsmächtige Literatur. 50 Jahre nach Peter Suhrkamps Tod sorgt der Verlag wieder für Schlagzeilen: Verleger-Witwe Ulla Unseld-Berkéwicz, die 2003 nach dem Tod ihres Mannes die Macht übernahm, hat den Umzug des Verlags mit seinen 130 Beschäftigten von Frankfurt nach Berlin beschlossen.
Peter Suhrkamp, am 28. März 1891 als Bauernsohn im Oldenburgischen geboren, war Offizier im Ersten Weltkrieg und nach dem Studium in Heidelberg und Frankfurt zunächst Dramaturg und Literaturredakteur in Berlin. 1933 kam er zum S. Fischer Verlag. Als Vorstand brachte der frühere Lehrer und Dramaturg das traditionsreiche Haus unter schwierigsten Bedingungen durch den Krieg, bis er 1944 ins Konzentrationslager kam. Dem Tode nahe, kam Peter Suhrkamp im Februar 1945 frei. Nach dem Krieg überwarf sich Suhrkamp 1949 mit den S. Fischer-Erben. Brecht und Hesse ermutigten ihn wenig später zur Gründung seines eigenen Verlags – und wurden seine Bestseller-Autoren.
Als eine „Mischung aus Offizier und reformpädagogischem Lehrer“, charakterisiert Wolfgang Schopf, der Leiter des Archivs, Peter Suhrkamp. „Er war pedantisch und hatte immer die Leidenschaft, vorbildlich zu sein und das Richtige zu tun.“ Der Verleger – eine groß gewachsene und hagere Gestalt – kannte in Frankfurt kein Privatleben. Durch die Zeit im KZ gesundheitlich schwer angeschlagen, verbrachte er viel Zeit auch in Sanatorien. So wurden ihm seine Briefe zum Instrument der Unternehmensführung.
Gegenüber seinen Autoren brachte Suhrkamp, der als Förderer eher im Stillen wirkte, viel Langmut auf. Als Max Frisch mit seinem Roman „Stiller“ nicht vorankam, ließ ihn Suhrkamp wissen, dass er dafür alle Zeit der Welt („entweder jetzt oder in Jahren“) habe. Damit setzte der Verleger 1954 das Herbstprogramm des Verlags aufs Spiel. Letztlich wurde seine Geduld belohnt: „Stiller“, der Roman um die gebrochene Identität des Protagonisten, wurde zu einem der größten Erfolge der Nachkriegszeit. Im Archiv werden auch noch Max Frischs Korrekturfahnen verwahrt. Die offenbaren eine weitere Überraschung: Der berühmte erste Satz des Romans („Ich bin nicht Stiller!“) wurde von Frisch in einer Überarbeitung ganz am Schluss neu eingefügt.
Das Archiv birgt noch viele andere Schätze. Einige davon hat Wolfgang Schopf, ein studierter Germanist, bereits gehoben und als Herausgeber im Suhrkamp Verlag zu Büchern verarbeitet. Dazu gehören der Briefwechsel von Suhrkamp und Siegfried Unseld mit Theodor W. Adorno, der Austausch Unselds mit Wolfgang Koeppen und eine Monografie zu Hermann Hesse. Im Sommer kommen nun Peter Suhrkamps Briefe an seine Frau, die Schauspielerin Annemarie („Miri“) Seidel, heraus. 300 Briefe, die lange als verschollen galten, hat Suhrkamp zwischen 1935 und 1959 an sie geschrieben. Miris Briefe sind nicht erhalten.
Das Archiv an der Goethe-Universität ist der vom Verlag gegründeten Peter Suhrkamp Stiftung zu verdanken, die Ende 2002 die Keller im Verlagsgebäude an der Lindenstraße räumte und die Kisten an die nahe gelegene Universität übergab. So bleibt der Stadt Frankfurt ein kleiner Trost: Das Archiv zum Verlagsgründer und der in der Unseld-Villa verwahrte Nachlass von Siegfried Unseld sollen bleiben, wenn der Verlag Ende des Jahres vom Frankfurter Westend nach Berlin-Mitte umzieht. (dpa/phi)
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